Humorkritik | Juli 2009

Juli 2009

Kraus aus der Nähe

Karl Kraus sei ein »Humorist ohne Humor« gewesen, stellte der Literaturkritiker Otto F. Beer 1974 fest, ohne jedoch zu erläutern, was er damit gemeint haben könnte. In der FAZ hat der Publizist Arno Lustiger vor kurzem bewiesen, daß es auch heute noch ohne weiteres möglich ist, Karl Kraus in einem Nebensatz als »witzlosen Witzbold« zu charakterisieren und sich die Begründung dieses humorkritischen Urteils zu sparen. Wenn ich mir einen witzlosen Witzbold vorstellen müßte, würde er wahrscheinlich ungefähr so aussehen und agieren wie Fips Asmussen oder Mario Barth und sicherlich ganz anders schreiben als Karl Kraus, der mich mit seinen satirischen Einfällen schon erstaunlich oft zum Lachen gebracht hat, obwohl er doch gar keinen Humor gehabt haben soll.

 

»Aus großer Nähe« präsentiert der Herausgeber Friedrich Pfäfflin »Karl Kraus in Berichten von Weggefährten und Widersachern« (Wallstein Verlag 2008). In diesem opulenten Sammelband kommen hauptsächlich Augenzeugen zu Wort, die Kraus begegnet sind, aber auch ein paar Zeitgenossen, die ihm zeitlebens fernstanden. Golo Mann äußerte sich geringschätzig über die moralischen Qualitäten des Pressekritikers Kraus (»Nur ein gerissener Wilddieb kann ein sehr guter Waldhüter sein«), und Thomas Mann, dessen Anbiederung an die Journaille mehrmals in der Fackel glossiert worden war, freute sich über die Schützenhilfe des Sohnes (»Seine Moquerie über K. Kraus immer wieder gut«). Näheres über den Humoristen Kraus ist von dem Schriftsteller Sigismund von Radecki zu erfahren, mit dem er befreundet war: »Selbstverständlich hatte Kraus nichts mit dem niedrigen Typus des ›Tischhumoristen‹ gemein, der seine Pointen knattern läßt und eine gesellschaftliche Belästigung darstellt. Doch er war eben auch ein schauspielerisches Genie, und das fand zuweilen seinen natürlichen Ausdruck in der Anekdote. Einmal erzählte er die bekannte Geschichte vom jüdischen Ladeninhaber, der auf dem Sterbebett liegt und seine Familie um sich versammelt: ›Rosa, mein Weib, bist du da?‹ – ›Ich bin da.‹ – ›Jakob, mein Sohn, bist du da?‹ – ›Ich bin da.‹ – ›Sarah, meine Tochter, Rahel, meine Tochter, seid ihr da?‹ – ›Wir sind da.‹ – ›Seid ihr alle da?‹ – ›Wir sind alle da, Vater.‹ (Der Sterbende, sich entsetzt vom Kissen aufrichtend:) ›Und wer is’ im Geschäft?? …‹ In Kraus’ Erzählung wurde das zu einem erschütternden Drama. Ein Genie-Sketch von anderthalb Minuten, in dem die ganze jüdische Tragikomik lag.«

 

Der gleichen Quelle entstammt der Bericht über eine Zusammenkunft, bei der Kraus von dem notorisch klammen Dichter Peter Altenberg angebettelt wurde: »P.A., der sich stets vis-à-vis de rien sah, obwohl er ein Hunderttausend-Konto auf der Bank besaß, hatte seinen Freund Kraus an diesem Abend immer wieder angejammert: ›Karl, gib mir zehn Kronen … Karl, gib mir zehn Kronen …‹ Schließlich sagte Kraus: ›Schau, Peter, ich würde dir das Geld gerne geben, aber ich hab’s wirklich nicht.‹ Darauf Peter, in großherziger Aufwallung: ›Ich borg’s dir.‹« Im Gegensatz zu Otto F. Beer und Arno Lustiger hätte ich mich dieser munteren Runde doch gern hinzugesellt.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg