Humorkritik | Juli 2009

Juli 2009

Wahn und Trost

»Trost ist im Moment prost!« schrieb mir kürzlich eine Freundin. Man sollte die Frauen auch mal für ihre SMS-Kunst beloben und überhaupt Thomas Kapielski beipflichten, in dessen gnadenreichem neuen Prosaband »Mischwald« (Suhrkamp) neben Hunderten, ach was: Aberhunderten von sprühenden und ruhenden, verspielten und spröd-wahren Sätzen dieser zu lesen ist: »Allein der weibliche Teil zähmt und festigt die Menschheit.«

 

Um die es, man weiß es leider allzugut und allzu genau, durchaus elend bestellt ist. Im »gemischten Wahn« walkt und wabert und wütet die erdrückende Mehrheit der Gattung »Homo nichtsosapiens« (K. Sokolowsky) wild und wirr vor sich hin, und gäbe es keinen Kapielski – und außer ihm nicht noch ein paar andere –, man wüßte ja noch weniger ein noch aus als ohnehin schon. Oder wählte das Aus womöglich. Nein, wir halten uns an den Diaristen und Philosophen, den Philologen und Dichter, an den Lichtenberg unserer opaken Tage: »Haß, beschwert mit Mühsal, laugt die Säfte; allein Verachtung reicht hin für alle Welt, ganz ohne Aufrieb und Harm.«

 

In »Mischwald« gibt es komische Szenen, Einfälle, Wendungen zuhauf, doch wer Kapielski nach wie vor als »Spaßmacher« o. ä. tituliert, kann genausogut Schopenhauer den Utopisten zurechnen. »Irrwitz. Wahnwitz. Aberwitz« ist ein Abschnitt betitelt, in dem die Natur als Gegenstück zur menschlichen Jeckheit figuriert, als »atmendes, klagloses Etwas«, dem Kapielski in seinem zweiten neuen Buch, »Ortskunde – Eine kleine Geosophie« (Urs Engeler Editor, Basel/Weil am Rhein 2009), auf behutsame poetische Manier die Reverenz erweist – durch warmherzig dahinströmende Kurztexte, die Anleihen nehmen etwa bei Kästner und Hebel, formal bei der Anekdote, der Kalendergeschichte, der Moritat; knappe Erzählungen und Traktate, deren Gehalte und Probleme – die enorme Vernunftabwesenheit, die Schande und Bestie Mensch, der »menschliche Auswurf« – gewissermaßen in Örtlichkeiten personalisiert sind. Altfränkisch behauchter Klamauk gesellt sich zu Ror-Wolf-affinen Grotesken und Namensmagien, zarte Landschaftsminiaturen wechseln sich mit grausamen Begebnissen ab, und dazwischen streut Kapielski Photos von »schmerzensstillen« Wiesen und Lichtungen, wie sie mir aus der Fränkischen Schweiz vertraut sind.

 

Kaum ein Trost heutzutage ohne ihn. »Mischwald« und »Ortskunde« machen zusammen fünfhundert neue Seiten Kapielski; und das ist noch entschieden zu wenig.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt