Humorkritik | Juni 2008

Juni 2008

Darüber lache ich heute noch

Leser Harald Zigan schickt mir ein humor­historisch bemerkenswertes Fundstück: ein Bändchen mit dem Titel »Darüber lache ich heute noch – Soldaten erzählen heitere Erlebnisse«, erschienen 1943 als Sonderver­öffentlichung des Völkischen Beobachters ­im »Zentralverlag der NSDAP«. Wie die Ein­lei­tung verrät, ging das Buch auf ein Preisausschreiben des VB zurück, das die VB-Feldpost für die Soldaten veranstaltete: »Es wurden heitere Erlebnisse aus den Feldzügen dieses Kriegs gesucht. Scherzworte von Kamera­den, die in einer gefährlichen oder ernsten Situation durch ihren Humor die Stimmung wieder ›aufbügelten‹.«


Die von den Wehrmachtssol­daten eingesandten Anekdoten sind, wie zu erwarten, ­alles andere als lustig, vielmehr zum Kapitu­lieren öde: Der Kompaniekoch hat den Daumen in der Suppe, ein Soldat verliert eine Wette und muß sich den Kopf rasieren lassen (»ein Haarschnitt, wie man ihn bei uns nur an ­gewissen Kategorien von Menschen ­findet«), ein anderer will unbedingt Gehacktes und bekommt gehacktes Kleinholz vor­gesetzt und was der seit Jahrhunderten immer gleich schäbige Soldatenulk sonst noch hergibt. Nicht einmal der Grusel des heutigen Lesers wird befriedigt, nur in wenigen Fällen gleiten die Histörchen ins offen In­humane ab: »Die Bolschewisten waren auf 100 m heran, wieder wollte der Gefreite losknallen, aber der Schütze packte ihn am Arm und drängte ihn weg vom MG und meinte: ›Noch nicht!‹ Dem Gefreiten wurde bange. Die Bolsche­wisten kamen näher und näher … Kaum mehr als 10 m waren es, da ratterte ein kurzer Feuerstoß, und die Bolschewisten la­gen­ lang. Der Gefreite atmete auf, er wußte nicht, was er dazu sagen sollte. Da meinte der Schütze trocken: ›Ja, Munition sparen!‹«


Seltsam komisch wurde die Lektüre aber dann doch: Nämlich durch die krampfhaften Bemühungen der VB-Redakteure, mit Schlußvignetten aus dem Repetiergewehr dem Ganzen den Anstrich des Erdig-Urtümelnden zu geben: »die Lachsalven waren auf unserer Seite«, »alles lacht herzhaft und die Stimmung hat wieder ihr Gleichgewicht«, »das Gelächter der Kameraden über Karls dummes Gesicht«, »unserem Spieß blieb die Luft weg, und wir bekamen Luft durch ein herzhaftes Lachen, das durch alle Reihen ging«, »alles brach in Lachen aus, und die Situation war gerettet und die Ruhe wiederhergestellt«; und schließlich sogar: »In bester Stimmung marschierten wir zur Ostfront.« Darüber ­lache ich heute noch. Und zwar zwerchsalven­mäßig.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner