Humorkritik | Juli 2008

Juli 2008

Guttemplermenschen

Michael Kardinal Faulhaber hat, um beim o.g. Thema zu bleiben bzw. kurz auszuschweifen, in seiner Silvesterpredigt von 1938, gesagt: »Der Eintopf ist ein großer Schritt vorwärts.« Bei der Gelegenheit pries er auch, wie so oft vorher und nachher, den Führer, dem er sich, nicht nur was die Ablehnung langnasiger Juden­rotten anging, inniglich verbunden fühlte: »Auf der Höhe des Reiches haben wir das Vorbild einer einfachen und nüchternen, alkohol- und nikotinfreien Lebensführung.« Und tatsächlich wurde der Braunauer niemals bei einem Faßanstich gesehen, auch nicht beim Oktoberfest in der Hauptstadt der Bewegung. Nicht einmal in seinem Hustensaft durfte das kleinste Quentchen Alkohol vorkommen.

 

Für Faulhaber entsprach das ohne weiteres dem katholischen Heilsplan. Als der Krieg vorbei war, modelte man den antisemitischen Kirchenfürsten rasch zum Widerstandskämpfer gegen den materialistischen Nationalsozialismus und den heidnischen Hitler um. Zehn Jahre später war das deutsche Volk schon wieder von Säufern umgeben. In einem Beitrag zum 8. Mai schrieb die Südwestpresse am 7. 5. 1955 unter das Foto eines saufenden Russen: »Während das deutsche Volk in bitterstem Elend vor der Rache der Sieger zitterte, begossen diese ihren Sieg. Die Russen taten sich dabei besonders hervor. Notfalls wurde der Schnaps auch aus Blumenvasen getrunken.«

 

Schnaps aus der Vase! Diese Untermenschen! Wenn das Hermann Popert noch erlebt hätte! Der Jurist war emsiges Mitglied des Guttempler-Ordens, gründete den abstinenzlerischen »Deutschen Vortrupp-Bund« und zog auch vehement gegen andere verderbte Lustbarkeiten zu Felde. 1910 veröffentlichte er »Helmut Harringa«, einen erfolgreichen Wandervogel-Roman, der sich auch in den niederen Kulissen suffköpfiger Korpsstudenten mit mensurzerhackten Fressen bewegt. In seiner Studie »Briefe an einen Fuchs­major«, die hoffentlich alle meine Leser kennen, erwähnt Tucholsky das Werk des antialkoholisch Bewegten als einen Milieuroman, der nichts tauge, als sittengeschichtliches Dokument jedoch nicht unbrauchbar sei. Popert sei »im politischen Leben eine feine Nummer und als Schriftsteller ein dicker Dilettant«; der Erfolg seines Buches basiere auf dem ­angenehmen Lustgefühl, »das es in dem nicht inkorporierten Wandervogel wachrief, der nach solchen Schilderungen studentischen Lebens getrost sagen durfte: ›Seht, wir ­Wilden sind doch bessere Menschen!‹«

 

Was mir wesentlich scheint: Tucholsky ­erzählt, seine »sicherlich guten antialkoho­lischen Absichten« hätten die Hamburger ­Arbeiter damit karikiert, »daß sie in der Kneipe sagten: ›Nu nehm wi noch’n lütten ­Popert!‹« Popert statt Köm – ja, das gefällt mir. Das finde ich lustig. In einem Ohnsorg-theatralischen Henry-Vahl-Tonfall gesprochen. Da kommt kein Paragraphenwerk dagegen an. Ich will übermäßigem Alkoholzuspruch keinesfalls das wohlfeile Wort reden. Aber, immerhin, im März 1921 stellte der junge Brecht fest: »Erst wenn man getrunken hat, ist man zurechnungsfähig. Daher sollte wenigstens der Schnaps umsonst sein.« Dieses will ich gerne gelten lassen! Und einen lütten Popert nehmen. Es muß ja kein Köm sein.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg