Humorkritik | Oktober 2007

Oktober 2007

Komische Trilogie

Der Filmemacher Michael »Bully« Herbig hat mit »Lissy und der wilde Kaiser« eine Trilogie abgeschlossen, in deren Rahmen er die Traumata seiner Kindheit verarbeitet hat: die Karl-May-Verfilmungen, die TV-Serie »Raumschiff Enterprise« und die drei »Sissy«-Filme mit Romy Schneider in der Titelrolle. Nun, jeder hat seine eigene Vergangenheit.

 

Und einen Kindheitstraum hat er sich ­erfüllt: Als Elfjähriger schon hatte er mit der Arbeit an einem Zeichentrickfilm begonnen, sie aber nach der bitteren Erkenntnis, daß jede Sekunde Film 24 Bilder erfordern würde, wieder eingestellt. »Lissy« ist nun ein voll animierter 3D-Film, an dessen Fertigstellung Herbig passenderweise volle drei Jahre gearbeitet hat.

 

Wie ich höre, ist die ganze Branche hochgespannt auf das Ergebnis – und zwar auf das an der Kinokasse. Dergleichen kümmert mich nur in Präzedenzfällen, und dies dürfte einer werden: Zum ersten Mal ist in Deutschland ein abendfüllender Animationsfilm produziert worden, der zumindest Aussicht auf Erfolg hat. Bei knapp zwölf Millionen Euro Kosten wäre ein Ergebnis unter drei Millionen Zuschauern ein glatter Mißerfolg, der alle Versuche, mit »Ice Age« oder »Shrek« zu konkurrieren, hierzuland auf Dauer unterbinden würde.

 

Herbig hat getan, was er tun konnte: Mit seiner Vorlage ist er ähnlich liebreich umge­gangen wie bei seinem ersten Erfolg »Der Schuh des Manitu« mit den deutschen Indianerwestern. Freunde des Originals werden einige historische Motive und die jahreszeitlich variierte Technicolorpracht gern wiedererkennen. Ich wähnte gar, die Stimme des seligen Josef Meinrad zu vernehmen, der seinerzeit den überforderten Hofmarschall gab, was sich der geschmeidigen Anpassungsbereitschaft Rick Kavanians verdankt, der, ebenso wie Herbig selbst, gleich drei Figuren spricht. Zumindest das Sound­design braucht überhaupt keinen Vergleich zu scheuen. Fragwürdig fand ich nur die Songs aus der Stefan-Raab-Konfektion, von denen die angemessene Filmmusik unter­brochen wird.

 

Ob sich solche Konzessionen an den vermuteten Geschmack des Zielpublikums auszahlen? Ich halte sie für überflüssig. Wer die Bezugspunkte zur Vorlage nicht erkennen kann, bekommt ohnehin eine handfeste Geschichte geliefert, die mit einem Teufelspakt beginnt, der – anders als in Goethes »Faust« – konsequent durchgespielt wird. Das ließe sich ohne große Abstriche auch anders erzählen, was ich übrigens für eine gute Voraussetzung halte.

 

Dennoch zur Grundfrage: Warum überhaupt mußte »Lissy« computeranimiert werden? Eine eindeutige Antwort weiß ich nicht, nur die Nachteile liegen auf der Hand: Herbig wagt sich damit auf ein Gebiet, wo er an den ums Zehnfache höheren Etats der amerikanischen Konkurrenz gemessen wird, ohne sich ständig auf die unbegrenzten Möglichkeiten der teuren Technik verlassen zu dürfen. Verglichen mit dem Detailreichtum, der bei ­Pixar oder Dreamworks zum Standard gehört, wirken viele seiner Bilder eher plakativ und fast abstrakt. »Lissy« muß mit optischen Reizen geizen und kann große Schaueffekte nur gezielt verteilen.

 

Aus dieser Not eine Tugend zu machen bedeutet, verstärkt auf Dialogwitz zu setzen, der sich aus dem Zusammenspiel der zehn Hauptcharaktere ergibt. Die sind auf einer nach unten offenen Debilitätsskala alle unterhalb Normalnull angesiedelt, was die Fallhöhen ziemlich begrenzt. Wohlwollend betrachtet, strahlen sie dafür auf ihre unschuldige Weise eine Art Lebensfreude aus, die sie mir gleichwohl sympathisch macht.

 

Schwierig bleibt das Unternehmen dennoch: Um aufkommendes Mißvernügen ob des eigenen Nichtauftretens im Keim zu ersticken, führt Herbig sehr behutsam in die animierte Welt ein und läßt sich im ersten Drittel Zeit genug, um eine gagdichte Nummernrevue abzuspulen; ein Rezept, das gerade den Simpsons recht mühelos über die volle Spielfilmdistanz geholfen hat.

 

Andererseits löst Herbig sein Hauptproblem nicht mit letzter Konsequenz: Wenn er schon ehrenwerte Bedenken hegte, als knapp 40jähriger Mann die mädchenhafte Titelrolle real zu verkörpern – warum gibt er dann dieser Kunstfigur seine eigenen Züge?

 

Womöglich um klarzustellen: »Lissy und der wilde Kaiser« ist Michael »Bully« Herbigs persönlichster Film, alles trägt seine Handschrift. Ich würde ihm ein glattes »Gut« dafür geben – aber das wird ihm nicht genügen, und befriedigen kann es ihn nur, wenn das große Publikum ebenfalls zu dieser Bewertung kommen sollte.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Die Bunte zitiert Sie mit der Aussage: »Um zu überleben, muss man gesund sein, und wenn man am gesündesten ist, sieht man einfach auch am jüngsten aus!« Gut, dass Sie diese Erkenntnis an uns weitergeben!

Geht jetzt zur Sicherheit bei jeder neuen Falte, Cellulitedelle und grauen Strähne zum Arzt:

Ihre greise Redaktion der Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
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