Humorkritik | November 2006

November 2006

Ingendaay contra Unox

Ich schätze Paul Ingendaay als kundigen und stilsicheren Spanien-Korrespondenten der FAZ und bin recht neugierig gewesen auf seinen Jugend- und Internatsroman »Warum du mich verlassen hast« (Schirmer Graf Verlag). Es kommt nicht selten vor, daß ein guter, solide im Sattel sitzender Journalist das Wagnis eingeht, mit einem vermutlich autobiographisch grundierten Roman an die Öffentlichkeit zu treten, um so ein kritisches Ohrfeigengewitter seiner Journalistenkollegen herabzubeschwören. Die vorhersehbaren Verrisse habe ich mit mäßigem Interesse überflogen und mich um so lieber dem Roman zugewandt.

Auf Seite 112 wird Marko, der pubertierende Ich-Erzähler, vom Herrn Präses rundheraus gefragt, ob er viel masturbiere. Es ist zwar kein schöner Zug von Erwachsenen, sich über die Nöte von Pubertierenden zu amüsieren, aber es ist doch auch tröstlich, als reiferes Semester in den ausgestandenen Qualen einen unversiegbaren Born der Komik erkennen zu dürfen. Ingendaay hat sich hier reichlich bedient: »Eine Sekunde lang dachte ich: Ich habe nicht gehört, was ich gerade gehört habe. In der nächsten Sekunde dachte ich, er hat mich mit jemandem verwechselt. Das bin nicht ich, der da im Arbeitszimmer des Präses sitzt und gefragt wird, ob er viel masturbiert. Dann kam ich zu mir. Neben mir saß niemand. Da wußte ich, daß die Frage mir galt. Mir allein. Der Präses wollte wissen, ob ich viel masturbierte. Hmmm. Was war ›viel‹? Mehr als Motte? Weniger als Onni, von dem Tilo einmal gesagt hatte: Onan, der seinen Samen zu Boden fallen ließ? Genausoviel wie der Durchschnitt? Ich hatte ja keinen Maßstab. Es kam mir sicherlich viel vor im Vergleich zum vergangenen Jahr, aber woher sollte ich wissen, daß es nicht noch mehr wurde?«

Ebenso komisch wie der Roman ist auch die Nachbemerkung des Verfassers. »Dieses Buch ist ein Werk der Einbildungskraft«, heißt es da, und weiter: »Bemerkungen von Romanfiguren zu den Firmen Lacroix und Unox zielen weder auf wirkliche Hersteller von Dosensuppen noch stellen sie eine Beurteilung ihrer Produkte dar.« Möglicherweise ist damit der drohende Gerichtsstreit Unox vs. Ingendaay gerade noch einmal gütlich beigelegt worden. Als vergnügungssüchtiger Prozeßbeobachter bedauere ich das, denn von dieser gerichtlichen Auseinandersetzung hätte ich mir deutlich mehr versprochen als, beispielsweise, von dem nervtötenden Gezänk zwischen Maxim Biller und seinen zutiefst unkomischen Romanfiguren. Also bitte: Unox! Aufgewacht!

 

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella
09.05.2024 München, Volkstheater Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
10.05.2024 Weil am Rhein, Kulturzentrum Kesselhaus Thomas Gsella
11.05.2024 Karlsruhe, Kabarett in der Orgelfabrik Thomas Gsella