Humorkritik | November 2006
November 2006

Mißverstandener Thurber
Vielleicht ist alles nur ein Mißverständnis, begründet darin, daß sich der Komikgeschmack im Lauf der Zeit grundlegend ändert oder daß andere Länder andere Humorsitten haben. Daß James Thurber (1894-1961) als »Amerikas berühmtester Humorist« bezeichnet wurde bzw. als »Mark Twain des 20. Jahrhunderts« (Verlagswerbung) – das -wollte mir nie so recht einleuchten, schon früher nicht, als diverse Autoritäten nicht müde wurden, mir Thurber als eben jenen Muster--Humoristen anzudienen. Die Textsammlung »Vom Mann, der die Luft anhielt« (Eichborn) bot mir nun Gelegenheit zu prüfen, ob -meine Überzeugung nicht doch ein Vor- oder zumindest vorschnelles Urteil war.
Das Ergebnis meiner Wiederbegegnung: Schon als juveniler Humorrezipient war ich zuverlässigen Geschmacks. Komisch finde ich Thurbers Texte (und Cartoons) nämlich auch heute nicht. Mag sein, wie gesagt, ein Mißverständnis – und Thurber wollte am Ende gar nicht komisch sein? Primär ist er nämlich gallig, vor allem wenn’s darum geht, unverhohlen über Frauen herzuziehen. Zum Humoristen fehlt es ihm an versöhnlicher Heiterkeit, zum Satiriker an einer Pointierung seiner Attacken und fürs Komische überhaupt an jedweder Distanz zum Thema, an Überraschungsmomenten, Subversivität, analytischer Prägnanz und wirklich eigenem Stil. Thurbers ironiefreie Texte sind handwerklich solide und in ihrer Machart ebenso rasch durchschau- wie in der Richtung vorhersehbar, und zwar bereits für den Literaturnovizen, der anhand dieser Texte in die Grundtechniken mehr oder minder kreativer Schreibvorgänge eingeführt werden sollte, u.a. am Beispiel von Thurbers berühmtester Geschichte »The secret life of Walter Mitty«, in der sich ein weltfremder Pantoffelheld in kühne Allmachtsphantasien hineinsteigert, was zu refrainartig mit diesen kontrastierten Bloßstellungen seiner bärbeißigen Gattin führt.
Am ehesten mag Thurber als biestiger Konterpart zum biederen Kishon durchgehen, und der war ja auch nicht sonderlich komisch. Aber vielleicht fand man es in den USA der 30er und 40er Jahren ja witzig, wenn jemand ohne Hinter-, Neben- und Unsinn Frauen als unerträgliche Xanthippen und die Ehe als unheiliges Martyrium beschimpfte. Und alles wäre also doch bloß ein Mißverständnis.