Inhalt der Printausgabe
November 2005
Humorkritik (Seite 2 von 7) |
Molwanîen |
Die Koffer standen schon matt fiebernd im Flur, als ich mich nochmals dem Bücherbord zuwandte, einen Reiseführer einzupacken. Da fiel mir wunderwie ein Exemplar in die Hand, das da schon eine Weile herumstand: »Molwanîen«, mit einem drolligen Dach über dem i, das klang nach Wodka und Wolga, Gulasch und Gulag. Als literarischem Globetrotter macht man mir so schnell kein E für ein U vor, vor allem dann nicht, wenn E für »Ernst« und U für »Unterhaltung« steht. Erfundene Länder bereiste schon Gulliver selig; ein ganzes Reisehandbuch zu fälschen, haben jedoch erst die Herren Cilauro, Gleisner und Sitch in diesem unseren Jahrhundert unternommen. Herausgekommen ist ein veritabler Reiseführer, der nicht nur in diversen Fanforen mit Fanfaren angepriesen wird, sondern auch stupende Verkaufszahlen erzielt. Der scheinseriöse Text konzentriert sich auf die exorbitante Rückständigkeit des molwanischen Kleinstaates und seiner Bewohner, die sich bäurisch bis bauerfängerisch gebärden: »Die Leute in Molwanien machen ganz merkwürdige Sachen, sie essen ganz merkwürdige Sachen, sie hören sich merkwürdige Musik an und reden eine merkwür dige Sprache mit ganz vielen Konsonanten.« Ausgiebig und fast ausschließlich wird auf dem angeblich erlebbaren Anachronismus des Scheinstaates herumgetrommelt, die vielen Oneliner zielen durchweg auf Alkoholabusus, Korruption und Sittenlosigkeit des Antiutopias Molwanien. Diese Stärke ist zugleich auch die große Schwäche des Kompendiums. Die Informationen zu Historie, Währung, Maßeinheiten, Nahverkehrsplänen und Reisefloskeln (»Togurfga trakij sdonchskia?« – »Was ist mit deinen Zähnen passiert?«) im ersten Kapitel fand ich sehr komisch. Im anschließenden »Lokalteil« – mit detaillierten Stadtrundgängen, Hotel- und dann aber Restaurantkritiken – verbrauchen die Autoren leider viel Energie und Witz darauf, die hundertste Bruchbude als opulente Unterkunft zu verbrämen und den fünfzigsten »Zeerstum« – landestypischen Knoblauchschnaps – die durstige molwanische Kehle hinunterrinnen zu lassen; 176 Seiten wollen schließlich gefüllt sein. Falls Ihnen aufgefallen sein sollte, daß »Molwanien« seine diakritische Kopfbedekkung inzwischen eingebüßt hat, lasten Sie das getrost dem Lektorat des Heyne-Verlags an, das auf eine konsequente Einhaltung der selbst auferlegten Umschriftlichkeit leider ebenfalls keinen Wert gelegt hat. Ich jedenfalls hoffe, daß der Nachfolgeband »Phaic Tan: Sunstroke on a Shoestring«, der sich einem imaginären Südseestaat widmet und zumindest in den englischsprachigen Ländern schon erhältlich ist, halb so dick und doppelt so komisch ausfallen wird. Gefahren bin ich übrigens dann doch woandershin. |
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