Inhalt der Printausgabe
November 2005
Humorkritik (Seite 3 von 7) |
Wes Anderson & The Wilson Bros. |
Den bislang letzten Wes Anderson-Film »The Aquatic Life With Steven Zissou« habe ich hier bereits empfohlen. Bekannt geworden ist Anderson jedoch durch »The Royal Tenenbaums« (2001), der vornehmlich wegen seiner Besetzung (u.a. Gene Hackman, Anjelica Houston, Ben Stiller, Gwyneth Paltrow) auch in Deutschland eher ein wenig breiter zur Kenntnis genommen wurde. Gleichfalls ein Kritikererfolg, wirkte er für meinen Geschmack allerdings derart forciert skurril, als basierte er auf einer Vorlage von John Irving oder T. C. Boyle. Auch das könnte durchaus ein Resultat der Besetzung gewesen sein, da Starschauspieler ja allzu häufig einen unguten Einfluß auf die Inszenierung komischer Produkte nehmen. Andersons frühere Werke, die ich gerade im Rahmen eines kleinen Filmfests gesehen habe, gefallen mir besser, da sie dezenter mit komischen Effekten umgehen und durchgehend in einem schwer definierbaren Bereich zwischen den Genres schweben. »Rushmore« aus dem Jahr 1998 ist dafür ein schönes Beispiel. Ein Teenager-Film, der von Körpersaft-Komödien wie »American Pie« ungefähr genausoweit entfernt ist wie von problembewußten Jugenddramen in der Tradition von »American Graffiti« oder »The Last Picture Show«. Ein Schüler verliebt sich in seine Lehrerin, die sich mehr zu seinem väterlichen Freund hingezogen fühlt – wobei der pubertierende Schüler von einem Achtzehnjährigen gespielt wird, der aussieht, als habe er sich die dicken Augenbrauen von Groucho Marx ausgeliehen, und sein väterlicher Freund von einem Bill Murray, dem man die stoische Souveränität schon ansieht, mit der er Filme wie »Lost in Translation« anscheinend mühelos ganz allein trägt. Daß sein demonstratives Understatement selbst in Jim Jarmuschs eher uninspiriertem Mittelalterswerk »Broken Flowers« Zuschauer zum Lachen bringt, wundert mich schon; zumal die Gefahr besteht, daß dieses unangemessene Nichtreagieren als reine Masche durchschaubar wird in Situationen, denen es durchgehend an Schwung und Tempo fehlt: Wenn man anfängt, sich als Zuschauer zu langweilen, findet man es kaum mehr komisch, wenn Bill Murray sich ebenfalls eher gelangweilt fühlt. In »Rushmore« dagegen wirkt seine Stilsicherheit, genau wie in seiner Rolle als »Steven Zissou«, geradezu traumwandlerisch und gibt Anderson Gelegenheit, ungeniert gewagte Hintergrundeinfälle zu inszenieren, die andere Abnehmer leicht ad absurdum geführt hätten – siehe »The Royal Tenenbaums«. Optische Phantasien so hemmungslos auszuleben, ohne hoffungslos manieriert zu wirken, ist eine Kunst, die im komischen Genre selten ist und dennoch meist unterschätzt wird. Ob Andersons Erstling »Bottle Rocket« (1996) überhaupt komisch gemeint ist, kann man bezweifeln – muß man aber nicht. Er orientiert sich noch eindeutig an europäischen Vorbildern. Von Godards »Außenseiterbande« bis hin zu Bucks »Wir können auch anders« ist es immer die gleiche Geschichte: Ein paar jugendliche Desperados versuchen ihr Glück frei nach dem alten Achternbusch-Motto: »Du hast keine Chance – also nutze sie.« Daß sie scheitern, ist gar nicht komisch; wie sie scheitern, kann komisch sein, was in diesem Fall den Hauptdarstellern zu verdanken ist, die zwei anrührende Totalversager darstellen, von denen anfangs der normaler Empfindende (Luke Wilson) gerade aus einer psychiatrischen Klinik entlassen wird, während der eindeutig Verrücktere (Owen Wilson) am Ende einer kläglichen kriminellen Karriere im Gefängnis landet. Womit wir endlich bei den Wilson-Brüdern wären. Es gibt drei davon: Der bekannteste ist eindeutig Owen, der Blonde mit der schiefen Nasenspitze, der sein Geld zum Beispiel als Partner von Ben Stiller mit Mainstreamkomödien wie »Zoolander«, »Meet the Parents« oder »Starsky and Hutch« verdient. Er arbeitet nicht nur als Darsteller, sondern auch als Co-Autor mit seinem Studienfreund Anderson, was mein Vorurteil gegen kreative Stars nicht bestätigt. Luke Wilson kann sehr gut aussehen, und das tut er in Filmen wie »Old School« oder »Legally Blond« sogar, ohne unkomisch zu wirken. Der dritte Bruder heißt Andrew und absolviert meist nur Kurzauftritte vor der Kamera, dafür hat er jetzt das erste Mal selbst Regie geführt in einem Film, bei dem seine Brüder wiederum die Hauptrollen spielen: »The Wendell Baker Story«. Warum ich das alles so umständlich erkläre? Nun, weil ich auf eine meiner Lieblingsthesen hinauswill: Daß private Zusammenhänge und persönliche Vorlieben im angeblich so kommerzfixierten, seelenlosen Hollywood viel mehr respektiert werden, als es deutsche Filmkritiker wahrhaben wollen. Daß dabei Talent eine größere Rolle spielt, versteht sich ja wohl von selbst. Wichtig ist jedoch gerade, daß man diese Talente gewähren läßt. Auch andere Brüderpaare – die Zuckers, die Farrellys, die Coens – wären dafür Beispiele. Und was haben wir dagegenzusetzen? Die Gebrüder Gottschalk vielleicht? |
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