Inhalt der Printausgabe

Januar 2001


Mordversuch in Linie 48
Aus dem Leben des amtierenden deutschen Reichskanzlers Wolfgang Gerhard Günter Ebel

(Seite 2 von 6)

In der neuen Reichskanzlei
Der "Generalbevollmächtigte für das Deutsche Reich", Herr Wolfgang Gerhard Günter Ebel, residiert in Berlin-Zehlendorf in einem schon arg in die Jahre gekommenen ehemaligen Reichsbahngebäude. Ebel, 61, ergraut, weißer Kinnbart, agiert und spricht würdevoll, wie es einem hohen Reichsbeamten geziemt. In blauem Anzug und lila Binder lotst er den Besucher freundlich in seine Diensträume, die vom spartanischen Treppenhaus über ein enges, als Diele dienendes Zimmerchen zu erreichen sind. Noch nicht ganz die alte Reichskanzlei, aber immerhin. Es ist kalt im Amtssitz des Generalbevollmächtigten, der, im Sinne urpreußischer Sparsamkeit, gleichzeitig seine Privatwohnung ist. Offensichtlich ist in den Jahren engagierter Reichspolitik die repräsentative Ausgestaltung der Diensträume ein wenig kurz gekommen: Das Mobiliar, die Blumen- und Ornamenttapeten, Lampenschirme und Gardinen erinnern ebenso vehement an die fünfziger Jahre wie Herr Ebel selbst. Ein erstes Problem ist die korrekte Anrede, denn Generalbevollmächtigter Ebel ist einer geradezu unglaublichen Mehrfachbelastung ausgesetzt: So bekleidet er nicht nur das Amt des "Reichskanzlers", sondern auch das des "Präsidenten des Reichsgerichts", fungiert zusätzlich als "Reichsminister für Transport, Umweltschutz, Energie- und Verkehrswesen" und muß in dieser Eigenschaft auch noch den Pflichten des "Generalbevollmächtigten der Deutschen Reichsbahn" sowie des "Generaldirektors der Deutschen Reichsautobahn, Reichseisenbahn, Reichsfernstraßen, Reichswasserstraßen, des Reichskraftverkehrs und des Reichsluftverkehrs in Personalunion" nachkommen. Und als ob das nicht reichte, steht er auch noch "der Regierung des Reichslandes Freistaat Preußen" vor. Das wirft abermals drei Fragen auf: Wie wird Herr Ebel mit dieser Machtfülle fertig? Wo hat er sie überhaupt her? Und wann findet er da noch Zeit, die vielen Haftbefehle zu unterschreiben? Der beispiellose Aufstieg des Wolfgang Gerhard Günter Ebel zum unumstrittenen Chef der Reichspolitik bzw. sogar zum "Gesamtdeutschen Souverän" (Ebel) beginnt am 12. September 1944. An diesem Tag nämlich, so erklärt der Generalbevollmächtigte aus einem wie kriegsversehrten Ledersessel heraus (und so steht es auch in der im Bahnhofsbuchhandel für 19,90 Mark erhältlichen "Extra-Sonderausgabe" eines Magazins 2000, die Herr Ebel weitgehend eigenhändig verfaßt hat), "ist das Deutsche Reich von den Amerikanern beschlagnahmt worden". Aufgrund verschiedener juristischer Verfehlungen, mithin Handlungen "wider die völkerreichsstaatsrechtlichen und reichsgesetzlichen Bestimmungen" (Ebel), die in ihrer eklatanten Kompliziert- und Wirrheit zu erläutern hier der Platz fehlt, ist die Bundesrepublik, darauf legt der Reichspräsident allergrößten Wert, keinesfalls Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches, sondern schlicht als "nicht existierend" anzusehen. Erstaunlich genug, daß das bestehende Machtvakuum erst 1985 wieder gefüllt wird - durch Herrn Ebel. Seit 1957 bei der Bahn beschäftigt, erst als Bahnhofsarbeiter, später als Stellwerksleiter, wird er "aus politischen Gründen" (W.G.G. Ebel) entlassen und beschließt, Politiker zu werden. Er beginnt ganz klein als einfacher "Reichsminister für Transport und Verkehr und Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn", und selbst das muß er sich, wie überhaupt alles, "von den Amerikanern genehmigen lassen".


Reichskanzler Wolfgang Ebel
Reichskanzler und Nachbar von Herrn Meese: Wolfgang Ebel


Karte Deutschland 1933
Ebels Reich z.Zt. der Weimarer Republik

   1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6   


Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg