Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (37)
Petra war noch nicht vom Klo zurück, werweiß war sie ertrunken; dies bzw. die Frage, was Menschen weiblichen Geschlechts immer so lange auf dem Lokus trieben, war immerhin ein Rätsel, um dessen Fortbestand sich Kurtchen nicht zu sorgen brauchte. Bei Männern war es einfach, die lasen auf dem Klo, ja, die meisten von ihnen taten dies überhaupt fast nirgends sonst, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit, da fingerten sie lieber auf ihren Kommunikationsgeräten herum, und daß sie darauf, wie die aktuelle I-Phone-Werbung suggerierte, "Die Verwandlung" lasen, schien Kurtchen abwegig, er wußte gar nicht wieso, wahrscheinlich Vorurteil; der einzige, von dem Kurtchen wußte, daß er auf seinem I-Pad Bücher las, war der junge Dr. Mangold, den er, Kurtchen, mal in der Bahn bei der elektronisch gestützten Lektüre von "Lady Chatterley's Lover" angetroffen hatte; nicht ganz Kafka, aber doch fast. Ihn, Dr. Mangold, hatte Dr. Mangold mit ironischer Herablassung, aber nicht unfreundlich erklärt, interessiere am Bücherlesen nicht das Materielle, sondern bloß das Textuelle. "Und das Sexuelle", hatte Kurtchen genauso freundlich geantwortet. Dr. Mangold hatte milde gelächelt und dargelegt, er sei zwar noch jung, aber nicht jung genug, um das in Rede stehende Buch – "den in Rede stehenden Text", erlaubte sich Kurtchen zu verbessern – um den in Rede stehenden Text, übernahm Dr. Mangold unverbrüchlich lächelnd Kurtchens Korrektur, nicht eher im Hinblick auf Rezeptionsgeschichte, Formalästhetik und das Spannungsfeld von weiblicher Sexualität in männlicher Schilderung zu studieren, dies um so mehr, als er die Lektüre von als von ihm, Dr. Mangold, erotisierend empfundenen Texten "aus guten Gründen" niemals in den öffentlichen Raum hineintrage, Schamverlust und Schwachsinn bedingten sich, wie jeder wisse, er, Dr. Mangold, lese "Lady Chatterley" durch dieselbe Focaultsche, "unter Umständen sogar Guattarische" Brille, durch die er auch "Die Geschichte der O." sowie "einiges, um nicht zu sagen alles von de Sade und Zwerenz" gelesen habe, "und zwar schon mit 13", und selbst damals habe er sich "nicht ein Jota" für die sexuellen Implikationen interessiert, oder jedenfalls nur sehr am Rande.
Andererseits war Kurtchen bei genügend Frauen auf dem Klo gesessen, um zu wissen, daß auch dort regelmäßig Stapel von Zeitschriften herumlagen, Frauenzeitschriften, aber trotzdem. Unvergeßlich war Kurtchen ein Brigitte-Dossier des Titels "Ich und mein Busen" geblieben, aber er war schon damals aus dem Alter heraus gewesen, wegen solcher Zufallsfunde einen Toilettenaufenthalt verlängern zu müssen; und nicht doch lieber Autozeitschriften oder SZ-Magazine zu studieren, deren fugenlos plane Nichtswürdigkeiten ("Unter dem Himmel über Berlin. In der Hauptstadt wird im Sommer draußen getanzt") ihr Aroma erst bei heruntergelassenen Hosen so richtig zur Entfaltung brachten. A propos erinnerte sich Kurtchen seines alten Rechercheplans, ob es wohl noch ein anderes Volk auf der Welt gab, daß seine Hauptstadt so beharrlich wie begeistert mit dem Etikett "Hauptstadt" versah, oder ob das eine spezifisch deutsche, in der lokaltypischen Begeisterung für Führungsinstanzen wurzelnde Dämlichkeit wäre. Aber vielleicht war das auch egal, es würde ja dies nicht weniger dumm, wenn's der Kenianer ähnlich triebe. (wird fortgesetzt)
◀ | Die Frage des Tages | Stark im Abgang | ▶ |
Newstickereintrag versenden…