Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (109)
Zwei Stationen weiter zog Petra Kurtchen aus dem Waggon, der Teil der jungen Krachmacher, der das klassische Vergnügen aus Alkohol und Tresenrandale den Großdiskotheken vorzog, tat es ihnen gleich, und im Strom der aufgepeitschten Aspiranten liefen sie um Ecken, die Kurtchen zwar kannte, bei Nacht aber nie angesteuert hätte; dabei wohnte er doch hier. Vielleicht war das der Grund.
Dankbar, neugierig und ein bißchen ängstlich lief Kurtchen hinter Petra her, bemüht um das Air eines Mannes, der sich nicht treiben läßt, sondern im Gegensatz zu allen anderen genau weiß, wo das zu finden ist, was juvenile Reiseführer Insidertips nennen; und verschwand so schnell mit ihr in einem Hauseingang, daß er nicht einmal wußte, wo er sich befand, als er vor einem resopalbewehrten Tresen, der in einem überaus blauen Licht badete, zu stehen kam und Petra dabei zusah, wie sie bei einer wasserstoffbombenblonden, möglicherweise bereits im Rentenalter befindlichen Servierkraft mutmaßlich Getränke orderte.
Kurtchen ließ die Hände in den Taschen und fürchtete gewohnheitsmäßig, man sehe es ihm an, wie wenig er den Eindruck hatte, hier am Platze zu sein; aber das war Unsinn. Kein Mensch interessierte sich für ihn, es war auch viel zu dunkel; Menschen unbestimmbaren Alters standen oder taumelten in den Ecken herum, die Tische – altes, schweres Kneipenmobiliar – waren leer, weil es entweder immer noch zu früh war oder die Tische nur pro forma standen, um gutbürgerliche Gastlichkeit zu simulieren, wo es doch darum ging, die verlorene oder soeben verschwindende Bürgerlichkeit vergessen zu machen. Musik stampfte, ein simpler deutscher Text, und wieder überfiel Kurtchen eine Erinnerung; er lächelte. Es fiel ihm erst gar nicht auf.
Er tat ein paar plänkelnde Schritte Richtung Tresen, Petra kam ihm, zwei Bierflaschen in der Hand, entgegen, sie stießen wortlos an.
"Ich weiß gar nicht, wann ich hier zum letztenmal war", sagte sie fröhlich und sah sich um, als erwarte sie, alte Bekannte zu treffen. Kurtchen wunderte sich gar nicht, er verstand sehr gut, was einen in diese Art Kneipe zog: Sie war ironisch, weil sie nicht ironisch war, wo doch alles immer bloß ironisch war. Wer hier trank, der trank, nichts weiter. Diese freundliche, geradezu wohltuende Achtlosigkeit: was unbedingt zu einer Kneipe gehörte, war drin, sonst nichts; eine Schwundstufe von vornherein; verdämmerndes, nacktes Leben, das sich selbst genügte, weil es keine Wahl hatte. Es war nur folgerichtig, daß man sich hier betrinken wollte, und was immer die Frage gewesen sein mochte, die Antwort stand alt, geschminkt und rauchend hinter dem Tresen und lautete: deshalb. (wird fortgesetzt)
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