Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Willkommen und Abschied
Es ist ja „nun schon auch ein bisschen“ (Joachim Löw) bedenkenswert, wenn die gute „Süddeutsche“ eine eigene Redakteurin auf oder wenigstens für Hartz IV unterhält, und war ich einst, die Älteren erinnern sich vielleicht, bis über beide Ohren in die Heike Göbel von der Frankfurter Konkurrenz verschossen, die nichts so wuschig machte wie die supergeile Marktwirtschaft (die eigentlich immer funktioniert, es sei denn, der doofe Staat mischt sich ein oder irgendwelche Kommunistinnen), mach ich’s jetzt wie alle Männer im kritischen Alter und such mir ’ne Jüngere:
„Leicht und flott sagt sich der Schlachtruf daher: Hartz IV muss weg! Aber alles, was nach dem Ausrufezeichen kommen müsste, hätte mit leicht und flott nichts mehr zu tun. Wer die Grundsicherung abschafft, würde die Gesellschaft einer Zerreißprobe aussetzen.“ Das mag stimmen, jedenfalls in der Welt der Henrike Roßbach, in der Schlachtrufe nicht, nun ja, entschlossen gerufen werden, sondern flott dahergesagt; in der anderen, meinen, zerreißt es die Gesellschaft viel eher wegen Hartz IV als ohne, dessen Abschaffung aus einem Almosen wieder ein Recht werden ließe und allenfalls den DAX und den BDI stören würde, die Roßbach aber auch viel näher am kalten Herzen liegen als irgendwelche Sozialfälle ohne SZ-Abo. „Vor allem aber argumentieren viele Experten überzeugend“, und das ist immer gut bzw. passt immer, so wie der Halbsatz: Immer mehr Menschen finden …, „dass alles, was Hartz IV ersetzen könnte, am Ende doch ziemliche Ähnlichkeit mit dem Hartz IV aufweisen würde“, so wie die Roßbach einer Fulbright-Stipendiatin mit VWL-Diplom und FAZ-Volontariat geradezu aus dem Gesicht geschnitten ist.
Hartz IV, das ist Schikane, Druck, Stigma, eine disziplinarische Maßnahme auch ohne Anlass, und wenn „auch in Zukunft … Geld fließen“ müsste, „orientiert an einem statistisch errechneten Bedarf“, dann ohne die Drohung, den Geldhahn bei fehlendem Wohlverhalten zuzudrehen, weil man nicht auf Kosten der Gesellschaft leben dürfe; als lebten nicht ganz andere auf Kosten der Gesellschaft. „All jene, die das System als stigmatisierend brandmarken, von Drangsalierung und einem ,Regime’ reden“, also ich, außerdem viele überzeugend argumentierende Experten, „sollten ihre Energie lieber dorthin lenken, wo im kleinen große Ungerechtigkeiten behoben werden könnten“, so wie eins ja auch nicht gleich Sozialismus wollen soll, wenn sich doch im kleinen per Suppenküche die große Ungerechtigkeit beheben lässt, dass die einen die Bio-Garnelen nicht mehr sehen können und die anderen ohne Frühstück zur Schule müssen, weil zwei Euro am Tag nicht reichen.
„... Und lieben, Götter, welch ein Glück!“ Goethe, 1775
Eine noch größere Ungerechtigkeit ist vielleicht, dass solche Ratschläge stets von Damen und Herrschaften kommen, deren einzige Bekanntschaft mit dem Amt bislang das Passamt gewesen ist, und deshalb gibt es soziale Rechte, weil ein Recht für jeden und jede besteht, während Hartz IV bloß gewährt wird, von Sachbearbeitern oder Bürgerjournalistinnen, was disziplinierend über die direkte Delinquenz hinaus wirkt: Wer Angst vorm finalen Ausgeliefertsein hat, der erledigt seinen Billigjob ohne Murren und hält, hat er einen richtigen, bei der Lohnrunde die Klappe.
So einfach ist im Grunde die Marktwirtschaft, und das macht sie für eine wirtschaftspolitische Parlamentskorrespondentin und „begeisterte Berlinerin“ (Roßbach) so attraktiv. Und für mich, über Bande, dann natürlich erst recht. Sorry, Heike.
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