Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Überfordert
Der Deutsche ist ja gern mal überfordert, und wenn er überfordert ist, passiert was: „Nicht nur die Konflikte in Tröglitz sind darauf zurückzuführen“, auf diesen deutschen Hang zum Überfordertsein nämlich. „Auch Pegida speist sich aus dem Zulauf aus Dresdner Vororten und sächsischen Kleinstädten, die sich überrumpelt vorkommen“, und zwar von unwiderstehlichen Flüchtlingsmassen (40 Menschen, Tröglitz), mit denen die „Gefahr einer Überforderung der Bevölkerung“ anreist, „wenn etwa ein kleiner Ort über Nacht damit konfrontiert wird, daß eine hohe Zahl von Flüchtlingen kommt“. Diese Sätze stammen, wie auch nicht, von unserem liebsten Konfliktforscher Jasper von Altenbockum, bis auf den bedingenden Satz mit der hohen Zahl allerdings, denn da hat der Geschäftsführer von Pro Asyl, ein Herr Burkhardt, die Stimmung im Land, die sich im Jahr 2014 zu 150 Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte verdichtet hat, anscheinend gut genug begriffen, um bei den Volksgenossen nicht noch das letzte bißchen Verständnis zu verspielen.
„The Hun is always either at your throat or at your feet.“ Churchill, 1943
„Die Ängste“, kann Altenbockum da mit grimmiger Genugtuung zitieren, „seien nachvollziehbar, die dann entstehen“, und wäre ich nicht der, der diesen einsamen und sinnlosen Kampf gegen den schlimmsten aller Wortskandale führt, ich müßte sagen, „nachvollziehbar“ fände ich das kein Stück, und daß drei Dutzend Menschen, die vor Bürgerkrieg und Elend Schutz suchen, bei mir absolut keine Ängste auslösen, außer jener vielleicht, der Herrgott werde mich beizeiten dafür strafen, immer bloß auf meinem kritischen Faularsch sitzen geblieben zu sein, statt selbst mal Suppe auszuteilen oder Flüchtlingskindern beizubringen, daß „nachvollziehen“ vielleicht Landessprache, aber deshalb noch lange nicht Deutsch ist.
Diesen Kindern das Dach über dem Kopf anzustecken ist also schlimm, ein „Verbrechen“ (Altenbockum), aber halt auch irgendwie nachvollziehbar, weil man ja Realist bleiben muß, nicht wahr, und sich nicht dagegen wehren soll, „multikulturelle Naivität gegen handlungsfähigen Realismus einzutauschen“, denselben nämlich, den die von den lokalen Bürgerwehren ermunterten Nazis mit dem Streichholz in der Hand bewiesen haben, um eben jener Überforderung Ausdruck zu verleihen, die die Landsleute durch ihre Geschichte seit spätestens Luther begleitet: Erst waren sie mit Politik per se überfordert und damit, auch mal selbst mal was zu entscheiden, dann mit der frivolen Zivilisation französisch-angelsächsischen Zuschnitts, dann mit Versailles (aber sowas von), dann neuerlich mit der westlichen Demokratie, dann mit den Juden, dann damit, sie umgebracht zu haben, dann (nachdem man mit dem nationalen Sozialismus schon überfordert gewesen war, jedenfalls im Rückblick) mit dem realen Sozialismus, dann, als der passé war, mit dem ganzen Ausländerpack, das zu jagen und anzuzünden lt. bekanntlich M. Walser als Überforderungsreaktion gelten mußte auf die Auschwitzkeule und die emotionale Verlorenheit der nationalen Jugend, die mit der Dauerpräsentation unserer Schande ganz einfach nicht mehr einverstanden war. Bzw. eben: überfordert.
Sollte es da wunder nehmen, daß es wiederum mich bisweilen überfordert, diesem Volk der zur Einsicht unfähigen, wehleidigen, brutalen Mimosen anzugehören?
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