Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Trilogie des laufenden Schwachsinns (letzter Teil)
Sie, liebe Leserin, lieber Leser, können es nicht mehr hören, ich kann es nicht mehr hören, und der SZ-Vorsitzende Kister kann es, ausweislich seines wöchentlichen „Abonnentenbriefs“, auch nicht mehr hören, „das Großgewese um den, wie ich irgendwann früher mal geschrieben habe, jungbärtigen Fernsehkomödianten Böhmermann“. Ein bißchen mehr Gewese muß zum Abschluß aber sein: „Zwar finde ich Gedichte mit rassistischen Untertönen, unabhängig davon, wie viele Meter Ebene sie überklettern, nicht witzig. Allerdings würde ich trotzdem selbst für die Meinungsfreiheit von Kai Diekmann, dem ehemaligen Bild-Chefredakteur, notfalls ins Gefängnis, und sei es ein türkisches, gehen“.
Das möchte ich sehen; wie sie doch eher für eine Meinungsfreiheit sind, die absolut nichts kosten darf. Denn das aktuelle Ressentiment der „Meta-Ebene“ gegenüber, die sie in puncto „Schmähgedicht“ entweder leugnen oder, wie Kisters Kollege Georgi in der FAZ, als zeitgenössische Eierkopf- und PC-Scheiße verhöhnen: „Die Welt ist neuerdings so voller Meta-Ebenen und doppelter Böden, daß man schon gar nicht mehr weiß, wo man noch hintreten soll, ohne gleich wieder mit Karacho durch die nächste Decke zu krachen“, zielt direkt auf jene Kritik, die sich nicht simuliert, sondern dialektisch in Bewegung bleibt; und der Kritiker, der Methode mitverhandelt und also im Wortsinn aufs Ganze geht, muß unseren frommen Meinungsaufsagern einfach als Schmutzfink gelten, dem Gedankenfreiheit zu geben sie sich dann so generös wie dümmlichst herablassen.
„Die Misere der Böhmermann-Tage“, schwätzt Kister weiter, „hängt leider auch damit zusammen, daß in diesem Land fast jeder witzig sein will“, so wie Kister mit seinen Metern Ebene; und wieder die reine Denunziation, die ein Rede- und Rezeptionsweisen verhandelndes Kabinettstück zu einem Blondinenwitz herablügt. „Es scheint mir vielmehr eine Tatsache zu sein, daß vor allem im Netz, aber auch im Fernsehen und, horribile dictu, auch in vielen Zeitschriften und Zeitungen Ironie – oder eine Flüssigkeit, die viele für Ironie halten – in einer Weise ausgegossen wird, daß man meinen könnte, sie sei eine Art Dünger für jene sumpfigen Wiesen des glucksenden Flachsinns, auf denen ... vier Dutzend Humorexperten unter der Aufsicht von Plasberg, Schäuble und Frau Käßmann Ringelreihen tanzen.“ Ringelreihen tanzen auf den sumpfigen, gleichwohl mit ironischer Flüssigkeit gedüngten Wiesen des Flachsinns: so, horribile dictu, denken und schreiben liberale deutsche Chefredakteure, die wie der Reaktionär Peter Hahne einen „Zustand der alles überwuchernden Witzigkeit“ beklagen, um damit eine Kritik zu verunglimpfen, für die ihnen der Arsch in der Hose fehlte, wenn sie ihnen nicht ohnehin als intellektualistisch (und also jüdisch) verdächtig wäre.
„Die Nüance erzeugt Wut.“ Thomas Mann, 1933
„Neulich sah man zum Beispiel den Dresdner Pegidistenhäuptling Bachmann, der vor Gericht eine dunkle Sonnenbrille trug, die so aussah, als sei sie einer jener Balken über den Augen, mit denen auf Fotos gelegentlich Leute unkenntlich gemacht werden. Bachmann hielt das ganz sicher für wahnsinnig witzig“, so wie Böhmermann, versteht sich, das mit dem Ziegenficker für wahnsinnig witzig hielt. Nazis quasi beide; das fand, im Tagesspiegel, auch Dieter Nuhr, der es (samt Publikum) bekanntlich nötig hat und als Kritiksimulant den Metakritiker schon aus Selbstschutz anschwärzen muß: „Der Begriff Ziegenficker … ist übrigens einem Türken gegenüber nicht nur eine Beleidigung und eine Verletzung der Menschenwürde, sondern auch rassistisch, ein bisschen nazimäßig, ein unter Ultrarechten übliches Schimpfwort für Menschen aus dem islamischen Kulturbereich, daß auch in rechten Kameradschaften gut angekommen sein dürfte.“ Und schämt sich lesbar nicht.
„Es gibt keine Erbärmlichkeit, zu der das deutsche Talent sich nicht hergiebt“, schrieb Thomas Mann am 21.7.1934 ins Tagebuch. Und, acht Tage später: „Die Ehre der Sprache, des Denkens, des Schreibens ist geschändet. Der Gedanke selbst wird einem verekelt durch die, die heute laut denken und noch dazu handeln dürfen.“
Den jungbärtigen Kollegen B. hätte er damit nicht gemeint.
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