Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Nostalgie schadet nie
Im Frankfurter Zoo, lese ich in einer Frankfurter allgemeinen Zeitung, wird z.Z. das Leben Bernard Grzimeks als „Familiendrama“ verfilmt, „für das die Kostümbildner und Ausstatter so akribisch vorgehen mußten wie für eine historische Dokumentation. Vier Jahrzehnte umspannt die Handlung, die zu Kriegsende einsetzt und mit dem Tod Grzimeks im Jahr 1987 endet. Die Kostümbildner müssen dabei die Mode mehrerer Jahrzehnte berücksichtigen. In einer Szene aus dem Jahr 1973, als der alternde Grzimek nachdenklich durch den Zoo spaziert, tragen beispielsweise die Komparsen, die für den Film ausgewählt wurden, typische Siebziger-Jahre-Mode. Ein junger Mann in knapper Kunstlederjacke und rosafarbenen Schlaghosen macht mit einer altmodischen Spiegelreflexkamera ein Foto von einem Kamel, das Mädchen neben ihm trägt einen akkurat gebundenen Pferdeschwanz und einen schwingenden Rock.“ In der Hauptrolle der unvermeidliche Ulrich Tukur, der nur deshalb in der ebenfalls vom Regisseur Roland Suso Richter in Szene gesetzten, mit vergleichbarem Aufwand hergestellten „Spiegel-Affäre“ (ARD, 7.5.) aussetzen mußte, weil er weder Augstein noch Ahlers noch sonst einem der „Rock'n'Roller des Rudolf Augstein“ (Meedia) ähnelt; und dem Bundesanwalt Buback halt leider auch nicht.
„Alles liegt so weit, so weit. / So schön, schön war die Zeit.“ Freddy Quinn, 1956
Es ging auch so, denn die Übung, einem Massenpublikum (Zeit-)Geschichte als sentimentales Heimatkino anzudienen, gelingt ja längst auch ohne ihn, und im Fall der Spiegel-Affäre nicht einmal schlecht, wenn man die Maßstäbe des Unterhaltungsfernsehens zugrunde legt: die Männer schneidig und lässig rauchend, die Damen im Rock, frisiert und adrett, und die BRD zeigt, unter Augsteins Führung, zum erstenmal die Zähne der Zivilgesellschaft, als die sie sich bis heute feiert. Nichts weiter als selbstverständlich dabei, daß Augstein ein cooler Frauenheld mit Hornbrille ist und nicht ein Deutschnationaler mit Stilschwächen, der in seinem Blatt alte SS-Männer beschäftigt, und daß der Verlagsleiter Becker evtl. bessere Kontakte zum Bundesnachrichtendienst hatte und haben wird, als unabhängigem Journalismus guttut, muß, wer mag, bei Gremliza nachlesen. Daß die Deutschlandkarten, auf denen der topliberale Spiegel 1962 das Kräfteverhältnis zwischen dem aggressiven Osten und dem bedingt abwehrbereiten Westen ausmalt, in den Grenzen von 1937 gehalten sind (DDR = „Sowjetzone“), wird da zur putzigen Reminiszenz an die gute alte Zeit, als die Eltern ihren ersten Käfer fuhren und es mit der Demokratie, wider Halbfaschisten wie Strauß, erst so richtig losging, auch wenn sechs Jahre später noch mal ein alter Nazi Bundeskanzler wurde und, einen Radikalenerlaß und einen deutschen Herbst der inneren Sicherheit später, nicht viel gefehlt hätte, daß der neue Nazi Strauß 1980 Bundeskanzler geworden wäre, angetreten gegen einen Mann, der mit der Erfindung einer „Rüstungslücke“ und als Vater des Nato-Doppelbeschlusses das Reich des bolschewistischen Bösen so totrüsten half, wie es seinem alten Oberbefehlshaber 1941ff nicht gelungen war.
Und während der prototypisch gute Deutsche Tukur-Grzimek familiendramatisch und in akkurater Zeitgarderobe durch das bundesdeutsche Beste aus den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren wandelt, ist ein Gesetz auf dem Weg, das bundesdeutsche Behörden der zehner Jahre ermächtigt, Asylbewerber in Schutzhaft zu nehmen, und werden Maschinengewehre und andere Kleinwaffen im dreistelligen Millionenwert hauptsächlich „in arabische Diktaturen“ (Spiegel online) exportiert. Denn die sind kulturindustriell noch nicht soweit, daß sie die gute alte Zeit auch ohne Waffengewalt als ganz und gar vorbildlich konservieren könnten.
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