Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Kinderkram
Dass Kinder, sind sie noch sehr frisch, alte Gesichter haben, hat den Dichter Nicolas Born zu den rührenden Zeilen veranlasst: „... und manchmal / siehst du mich an / als wüsstest du schon alles“, und natürlich wissen frische Kinder noch gar nichts und erst später wenig; dabei ist das, was man wissen muss, gar nicht grundsätzlich so kompliziert, dass man es erst als Erwachsener begreifen könnte. „Nur weil viele Länder arm sind / sind die reichen Länder reich“ (Volker Ludwig, Grips-Theater), das kann man in der Grundschule schon verstehen, aber da eine Kritik der politischen Ökonomie in der Grundschule sowenig stattfindet wie später, ist für die Erwachsenen dann alles eine Neuigkeit: „Weil der Planet erstens physisch begrenzt ist, zweitens industrieller Wohlstand nicht von ökologischen Schäden entkoppelt werden kann, drittens die irdischen Lebensgrundlagen dauerhaft erhalten bleiben sollen und viertens globale Gerechtigkeit herrschen soll, muss eine Obergrenze für den von einem einzelnen Individuum beanspruchten materiellen Wohlstand existieren“, schreibt der Siegener Ökonom Niko Paech in einem Gastbeitrag fürs Morgenblatt, weil der Soziologe Nassehi, ein nach Freundesauskunft „altbekannter Luhmann-Idiot und Schleimer und Opportunist“, ebenda die Apple-Ökos dahingehend beruhigt hatte, dass Lösungen nur nach Maßgabe dessen denkbar sind, was ist.
Auch das, was Paech da ausführt, kann jedes Kind verstehen: Es gibt einen Kuchen für alle, also darf jeder nur einen genau bemessenen Teil verzehren, und hat das Kind den Satz mit den armen und reichen Ländern verstanden, ist es auch gar nicht schwer, dem Kind zu erklären, warum in Brasilien die Wälder brennen: Die Reichen haben sie angezündet, um Geld zu verdienen, und der Hampelmann, den die Reichen als Präsidenten installiert haben, lügt, dass es die Armen waren. Warum das so ist? Da könnte man einem Quartaner sogar mit dem „Kapital“ kommen, wo Marx den englischen Gewerkschafter Dunning zitiert: „Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens“ oder eben des Weltuntergangs. Das ist natürlich alles „Ideologie“ (Lindner); aber brennen die Wälder? Oder brennen sie nicht?
„ich bin zu alt / deine Geschichten noch zu verstehn / ich merke schon / meine Antworten sind zu dumm / wenn du wirklich was lernen willst / geh weg“ Born, 1970
Doch ist das für Kinder natürlich zu hoch; es ist dies der komplexe Teil einer komplexen Welt, von „Profis“ (Lindner) gemacht und nur von Profis (Lindner, Nassehi) zu verstehen, nicht wahr, wie überhaupt immer alles furchtbar komplex ist. Es sei denn, ein syrischer Geflüchteter soll in Chemnitz einen „Deutsch-Kubaner“ (SZ, recte und nichtvölkisch: Kuba-Deutschen) erstochen haben, und der syrische Friseur beteuert, nicht er, sondern sein irakischer Begleiter, der seither auf der Flucht ist, sei es gewesen, und an der Tatwaffe finden sich vom Friseur nicht die geringsten Spuren, und es gibt nur einen einzigen Zeugen, der widersprüchliche Aussagen macht – dann ist alles ganz einfach und verurteilt ein deutsches Gericht, das sich Tucholsky nicht deutscher hätte ausmalen können, den Friseur zu neuneinhalb Jahren Haft. Damit, sagt es, sei „der Rechtsfrieden“ wiederhergestellt, und wie immer, wenn man der AfD entgegenkommt, nützt das nicht den Altparteien, sondern der AfD.
Noch so ’ne simple Wahrheit. Neunte Klasse, spätestens.
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