Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Geschichte übern Gartenzaun
Joachim Gauck ist ein guter Mann. Pünktlich zum jährlichen Besinnlichkeitshöhepunkt mahnte er, doch bitte die armen Flüchtlinge nicht zu vergessen, das seien, so Gauck in etwa wörtlich, doch schließlich auch Menschen.
Die CSU dagegen ist eine böse Partei. Pünktlich zum Ausklang des jährlichen Besinnlichkeitshöhepunkts will sie einen lt. Zeitung „deutlich härteren Kurs gegen Armutsmigranten aus anderen EU-Staaten“ fahren, also gegen das ganze Zigeunergschwerl, das mit der beginnenden Freizügigkeit für bulgarische und rumänische Erwerbssuchende zum Jahresbeginn in Deutschland erwartet wird.
Die Pointe dieses kleinen Ausflugs ins Manichäische ist freilich, daß der Gauck der eigentlich Böse ist, weil er das schmutzige Tagesgeschäft als eines verkauft, das nicht so schmutzig sein müßte, wenn wir denn alle Englein wären. Das Tagesgeschäft aber ist so schmutzig, weil in Bayern schon wieder Wahlkampf ist, und weil in der repräsentativen Demokratie immer irgendwo Wahlkampf ist, wird es schmutzig bleiben, denn Wahlkampf heißt, die Leute da abholen, wo sie stehen, und sie stehen nun mal hinterm Gartenzaun und wollen nicht behelligt sein, schon gar nicht von irgendwelchem Gesindel, das „Armutszuwanderung“ als „Mißbrauch der europäischen Freizügigkeit“ (CSU) betreibt.
„Die EU ist lange Zeit als reine Wirtschaftsgemeinschaft mißverstanden worden. Obwohl die Wirtschaft in der EU eine wichtige Rolle spielt, darf nicht vergessen werden, daß die EU in erster Linie eine Wertegemeinschaft ist.“ Bundeszentrale für politische Bildung, 2009
Übersetzen wir uns das: Europäische Freizügigkeit heißt nicht, daß, wie noch im Mittelalter der Landflüchtling, der freie Stadtluft atmen wollte, ein armer EU-Bürger dahin zieht, wo er auf weniger Armut und ein besseres Leben hoffen darf. Sie heißt, daß ein armer Spanier oder eine depravierte Griechin nach Deutschland kommen kann, wenn in Deutschland gerade Facharbeiter fehlen. Denn europäische Freizügigkeit ist der schrankenlose Verkehr von Dienstleitungen und Waren, weswegen der Spanier, die Griechin als zu vernutzende Arbeitskräfte willkommen sind, irgendwelche Sinti, die das rassistische Vorurteil nicht einmal als Tagelöhner gebrauchen will, aber nicht, selbst wenn sie am Ende gar nicht kommen.
Das „Europa der Werte“ (Hanns-Seidel-Stiftung/CSU), das lehrt diese Episode, funktioniert wie folgt: Rumänien und Bulgarien werden Mitglieder der EU, weil sie Absatzmärkte für kerneuropäische (deutsche) Waren bilden, ohne selber Konkurrenz zu sein. Für Rumänen und Bulgaren hat das unter anderem den Vorteil, daß sie ihre Armen und Unerwünschten exportieren können, zum Beispiel nach Deutschland, wo die Kommunen, klamm, aber fürs Soziale zuständig, mit den neuen Armen und Unerwünschten genauso allein gelassen werden wie mit den alten. Und wenn dann die Volksseele wieder kocht, weil vorm Jägerzaun der Müll aus dem Fenster der Behelfsunterkunft fliegt, steht schon irgendeine Abordnung der Repräsentativdemokratie bereit, um an der politischen Willensbildung mitzuwirken. Gewinner (wie immer): die Bourgeoisie. Verlierer (wie immer): die arme Sau, die das Pech hatte, als osteuropäischer Rom auf die Welt gekommen zu sein, den man hier sowenig haben will wie dort. Und der sich von Figuren wie dem Bundesoberheuchler Gauck auch noch verarschen lassen muß.
Auf ein gutes neues Jahr also? Die Deutschen, so liest man, sind optimistisch wie lange nicht. Mich hat man nicht gefragt.
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