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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: … geh du voran

„Man erlebt immer was Neues“, war ein Credo (unter vielen) meiner Großmutter selig, und neulich hat ein Freund von mir zum, wie er schreibt, allerersten Mal im Leben das Telefonat mit einem Freund abgebrochen, weil er, der Freund vom Freund, in puncto Corona nur verschwörungstheoretischen Quark von sich gegeben habe, Intrige der Hochfinanz, diese Liga. Hätte mein Freund besser mich angerufen; dann hätten wir über eine frische Folge der „Anstalt“ sprechen können, jener ZDF-Sendung, der man sicher einen Gefallen tut, wenn man sie nicht ins komische Fach legt, sondern das mit der Aufschrift „Aufklärung“. „Max Uthoff und Claus von Wagner klären über die Themen auf, die die Nation bewegen“, heißt es im Sendertext, und so ist es dann auch.

Ich seh’s nur gelegentlich, weil ich nicht auch noch in meiner Freizeit mit Politik behelligt werden mag, und über die umfassende Korrumpiertheit des Gesundheitswesens wollte ich diesmal, vom „Heute-Journal“ kommend, eigentlich nichts mehr wissen. Man weiß es ja; nur im Detail, da weiß man’s nicht, und also zwang ich mich, zunächst aus Neugierde, wie solche Sendungen ohne Publikum funktionieren. Ich glaube nämlich, dass solchen Sendungen das fehlende Publikum bekommt, weil sie unter dem ewigen Einverständnis des Publikums leiden. Ein alter Vorwurf lautet ja, dass Kabarett die ohnehin gängige Kritik fürs konforme Publikum mit Stempel versehe, und wäre man Thomas Bernhard, könnte man sagen, es sei geradezu tödlich, ins lachende Publikum zu sehen, weil einem von da eben nicht die Kritik, sondern im Gegenteil die objektive Kritiklosigkeit entgegengrinst.

Nun also die „Anstalt“ ohne Publikum, und wer immer hatte wissen wollen, was es mit der Ökonomisierung des Gesundheitssektors auf sich hat und was, wieder mal, Gerhard Schröder (SPD) dafür kann, dieser verlässlich beste Freund der privaten Versicherungs- und Pflegewirtschaft, der kam auf seine Kosten, aber weshalb ich überhaupt drauf komme: Die Sendung schoss in einem Schaubild zusammen, das Schritt für Schritt bloßlegte, wer jeweils hinter den Sauereien steckt, und ich sitze so auf dem Sofa und denke noch im Scherz: Bestimmt die Bertelsmann-Stiftung! Und was soll ich sagen: Natürlich war’s die Bertelsmann-Stiftung, und im nächsten Schritt war’s wieder: die Bertelsmann-Stiftung, und dann immer wieder: die Bertelsmann-Stiftung. Wenn also einer im Krankenhaus liegt und kriegt nur deshalb ein Hüftgelenk, weil es Geld bringt, dann ist daran schuld: die Bertelsmann-Stiftung. Und wenn es auf dem Land bald keine Kliniken mehr gibt, dann hat sich das wer ausgedacht? Die Bertelsmann-Stiftung. Und wer profitiert davon? Private Klinikbetreiber, bestens verbunden mit Politik und, natürlich, Bertelsmann-Stiftung, diesem Inbegriff der Gemeinnützigkeit.

„Rot blüht der Mohn / Millionen Tränen nähren ihn wie Tau.“ Udo Jürgens, 1984

Es war ja die Überzeugung des Führers, dass, in welche Eiterbeule man auch steche, ein Jude drin sitze. Bemerkenswert vielleicht, dass es, ob Hartz IV oder Bologna, nun keinesfalls Juda, sondern immer Gütersloh ist, das seine blitzsauberen arischen Finger im Spiel hat. Bertelsmann kommt der Idee von Politik als Verschwörung wirklich nahe, aber eben weil das so ist, glauben die Leute das mit der Hochfinanz; so wie sie auch die Meldungen der Volksempfänger glauben, „die Freiheit“ für Osteuropa sei nicht am 8. Mai 1945, sondern erst 1989 gekommen, obwohl täglich in der Zeitung steht, dass da Faschismus und Mafia regieren und Freiheit heißt, sich beim Ernteeinsatz im Reich noch den Tod zu holen.

Gelacht habe ich übrigens dann doch, ab ca. der 45. Minute (über den Herrn von der FAZ), und viel mehr Lacher wären der Sache auch gar nicht angemessen gewesen.




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Dass Du das »Du«, Steffen Freund,

so bescheuert verwendest, werden wir von Deiner Zeit als Fußball-Co-Kommentator bei RTL in unangenehmer Erinnerung behalten.

»Das muss anders gespielt werden! Du musst den Spieler in die Zone bringen.« – »Das zeichnet eine gute Mannschaft eben aus – dann lässt du dich besser fallen.« – »Gegen den Ball ist da kein Abnehmer, und das spürst du natürlich auch.« – »… und dann bist du in einer Situation, wo es gelb bis rot wird.« – »Dann hast du noch drei zentrale Mittelfeldspieler, das reicht dann mal nicht.« – »Du brauchst jetzt zwei Spieler, die noch frisch sind.« – »Es ist ein K.-o.-Spiel! Du hast nur noch 20 Minuten!« – »Einfach mal durchstecken! Jetzt kannst du eins gegen eins gehen!«

Eben nicht. Weil wenn’s ganz unerträglich wird, kannst Du natürlich den Ton abschalten.

Brauchst Du aber nicht mehr. Jetzt ist es ja vorbei. Und Du liest wieder Titanic

 Ach, Andrea Munkert,

da bezahlt Sie das Nürnberger Stadtmarketing dafür, vom innerstädtischen Elend abzulenken und eine verschnarchte Ecke namens Weinmarkt in himmlische Höhen zu loben – und was tun Sie? Sie schreiben: »Nürnberg – Während in den Einkaufsstraßen in der Innenstadt der Leerstand jault, pulsiert in einem neugestalteten Altstadt-Quartier das pralle Leben. Der Weinmarkt ist erwacht, erblüht – und so ganz anders als der Rest der Altstadt.«

Jaulender Leerstand – wer kennt’s nicht vom Besuch quasi jedweder Innenstadt? Wie ebenfalls üblich schläft der Rest der Altstadt, verwelkt, ja verdorrt gar krachend. Und wenn man genau hinhört, grunzt da nicht auch ein wenig die Aufenthaltsqualität? Aber wenn erst die Mieterhöhung singt und die Immobilienspekulation trommelt, dann ist die Stadt sicherlich wieder hellwach.

Heult still in sich hinein: Titanic

 Gute Güte, sehr unverehrter Hassan Nasrallah!

Gute Güte, sehr unverehrter Hassan Nasrallah!

Sie sind Chef der Hisbollah, und ein neues Propagandavideo Ihrer freundlichen Organisation war mit einem Satz unterlegt, den Sie bereits 2018 gesagt haben sollen: Die Hisbollah besitze »Präzisions- und Nicht-Präzisionsraketen und Waffenfähigkeiten«, die Israel »mit einem Schicksal und einer Realität konfrontieren werden, die es sich nicht ausmalen kann«.

Das, Nasrallah, glauben wir, verkörpern Sie doch selbst eine Realität, die wir agnostischen Seelchen uns partout nicht ausmalen können: dass das Schicksal von Gott weiß wie vielen Menschen von einem Knall- und Sprengkopf wie Ihnen abhängt.

Ihre Präzisions- und Nicht-Präzisionsraketenwerferin Titanic

 Tagesschau.de!

»Sei nicht immer so negativ!« wollten wir Dir schon mit auf den Weg geben, als Du vermeldetest: »Juli stellt knapp keinen Temperaturrekord auf«. Auf Schlagzeilen wie »Zehnkämpfer Leo Neugebauer erringt in Paris knapp keine Goldmedaille«, »Rechtsextremer Mob erstürmt im nordenglischen Rotherham knapp kein potentiell als Asylunterkunft genutztes Hotel« oder »19jähriger Islamist richtet bei Taylor-Swift-Konzerten in Wien knapp kein Massaker an« hast Du dann aber doch verzichtet.

Es gibt sie also noch, die positiven Nachrichten.

Vor allem von Titanic

 Heda, »FAZ«

»Schlechte Politik verhindert Fortschritt« – das stimmt. Aber ist das nicht haargenau die Politik, für die Du immer trommelst?

Fragt schlecht und recht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Etwas Heißem auf der Spur

Jedes Mal, wenn ich mir im Hochsommer bei herabgelassenen Rollläden oder aufgespanntem Regenschirm vergegenwärtige, dass das Leben in unseren versiegelten Städten auf entsetzlich wechselhafte Weise öde und klimatisch vollkommen unerträglich geworden ist, frage ich mich unwillkürlich: TUI bono?

Mark-Stefan Tietze

 Hä?

Demenz kennt kein Alter.

Moppel Wehnemann

 SB-Kassen

Zu den Seligen, die an Selbstbedienungskassen den Laden kaltblütig übervorteilen, gehöre ich nicht. Im Gegenteil, obwohl ich penibel alle Artikel scanne und bezahle, passiere ich die Diebstahlsicherungsanlage am Ausgang immer in der angespannten Erwartung, dass sie Alarm schlagen könnte. Neulich im Discounter kam beim Griff zu einer Eierschachtel eine neue Ungewissheit hinzu: Muss ich die Schachtel vor dem Scannen wie eine professionelle Kassierkraft öffnen, um zu kucken, ob beim Eierkauf alles mit rechten Dingen zugeht?

Andreas Maria Lugauer

 Bilden Sie mal einen Satz mit »AKW«

Der Bauer tat sich seinen Zeh
beim Pflügen auf dem AK W.

Jürgen Miedl

 Treehuggers

Bei aller Liebe zum Veganismus: Plant Parenthood geht mir zu weit.

Sebastian Maschuw

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
Titanic unterwegs
18.09.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
18.09.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.09.2024 Berlin, Kulturstall auf dem Gutshof Britz Katharina Greve
19.09.2024 Hamburg, Centralkomitee Hauck & Bauer