Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Eine Befreiung
Wer, vor 70 Jahren, die Befreiung des deutschen Konzentrationslagers Buchenwald erlebte, der mochte der Überzeugung sein, niemals könne vergessen werden, was sich hier zugetragen hatte und wer dafür angetreten war, daß es sich hatte zutragen können. Vergeßlich freilich ist der Mensch; aber daß nach bereits 70 Jahren, einem mittleren Menschenleben also, die Erinnerung ans Was die Erinnerung ans Wer umfänglich hat tilgen dürfen, mag als Höhe- und Endpunkt deutscher sog. Erinnerungskultur gelten. Die ihren Zweck damit vollauf erfüllt hat.
„Ausgerechnet vor den Toren Weimars, der Goethe-Stadt, Hort der deutschen Hochkultur, hatten die Nazis ihr größtes Konzentrationslager errichtet“, moderierte die ZDF-Dame Slomka im Heute-Journal den Bericht über einen (allein das ist schon gut:) „Europäischen Gedenkakt“ an und hatte damit das Attribut „deutsch“ zum ersten und gleichzeitig letzten Mal fallen lassen, im Zusammenhang mit der deutschen Hochkultur nämlich und als Kontrast zu dem, was Barbarei der Nazis war. „Als US-Militärs das Lager in Augenschein nahmen, konnten sie nicht fassen, mit welcher Bestialität sie konfrontiert wurden.“ Wessen Bestialität? Da uns besser nicht mit konfrontieren. „Einer von ihnen, General Eisenhower, erkannte damals schon die Notwendigkeit einer detaillierten Dokumentation, weil er voraussehend ahnte, es würde Menschen geben, die das Geschehene leugnen“, und sei’s gar ohne Absicht, als Sprechpuppen und Aufsagemaschinen der öffentlich-rechtlichen Amtswahrheit, die ergriffen vom Roß tremoliert und den Reiter nicht nennt.
„Vorbei, verweht, nie wieder.“ Tucholsky, 1930
„Und mit jedem Jahr, das vergeht, gibt es weniger Zeitzeugen. Wie künftige Generationen das Erinnern wachhalten, auch darum ging es heute beim Gedenken in Weimar“ (Slomka) und aber auch beispielhaft im Filmtext, in dem wiederum kein einziger deutscher Täter, ja nicht einmal ein (wie bei Kanzlerin Merkel) abstrakt verantwortliches „Deutschland“ vorkam, dafür aber „die mörderische Hölle der Nazi-Barbarei“ sowie die wünschenswert kommune Gratis- und Gretchenfrage: „Wie konnten Menschen das Menschen antun?“ Und Festredner Martin Schulz (Europa) stand nicht an, den Freistellungsauftrag zu erweitern: „Die europäische Einigung ist deshalb eine Antwort auf Auschwitz und Buchenwald. Unsere kollektive europäische Identität erwächst aus dem gemeinsamen Erinnern unseres zuweilen barbarischen Handelns in der Vergangenheit.“ Auschwitz, eine Folge europäischen Handelns, das zuweilen barbarisch war, und die im deutschen KZ Buchenwald von deutschen Schergen in deutschem Auftrag Gequälten und Ermordeten müßten aufstehen und dem Lügner Schulz diese Sauerei, die niemand mehr auch nur bemerkt, um seine treugroßdeutschen Ohren hauen. Deutsche Freiheit, so sieht sie aus. Künftige Generationen, das ahne ich voraussehend, werden nichts anderes mehr kennen.
PS: „Der Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis geht in diesem Jahr an die ‚Heute-Journal’-Moderatorin Marietta Slomka (45). Die ZDF-Journalistin gebe sich nicht mit Floskeln der Nachrichtensprache zufrieden, hieß es am Mittwoch in der Begründung der Juroren“ (Stern.de). W.z.b.w.
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