Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Drumherumgerede
Es ist so eine Sache mit der Sehnsucht nach politischer und geistiger Führung. Wird sie, wie von der FAZ behauptet, von Wladimir Putin bedient, ist das übel; wird sie, wie u.a. von "Spiegel online" moniert, von Barack Obama enttäuscht, ist das genauso übel: „Ferguson brennt – und Barack Obama legt nur einen müden Auftritt hin. Ausgerechnet der erste schwarze US-Präsident hat bisher keine große Rede zu Hautfarbe und Ungleichheit gehalten. Jetzt ist es Zeit.“ Und zwar für einen ausgeschlafen antirassistischen Powerauftritt, wie er auch einem eher tranigen Medium wie der Deutschen Welle vorschwebt: „Seine dürren Äußerungen nach dem Gerichtsentscheid sind der Bedeutung des Themas und Obamas Rolle als Präsident daher nicht angemessen. Es ist ein Armutszeugnis, daß Obama sich der Rassenproblematik in den USA trotz zahlreicher Vorfälle in seiner Amtszeit bislang weder durch wegweisende Maßnahmen, noch durch eine programmatische Rede angenommen hat.“
Es ist nicht ganz sicher, welche Welt das sein soll, in der programmatisches Reden zuletzt geholfen hat: Reden, das lehren Erfahrung und Geschichte, bewegen nur dann etwas, wenn sie das sagen, was das Publikum, wie bewußt auch immer, hören will, und es ist ja nicht so gewesen, daß Goebbels im Sportpalast einen Saal Antifaschisten zum totalen Krieg hat peitschen können. „Große“ Reden sind keine irritierenden Reden, und jeder Westberliner wollte hören, daß Kennedy ebenfalls Berliner sei, und jeder Volksgenosse, er sei 1945 von seinem Führer „befreit“ worden, weshalb Weizsäckers verlogene Schleimrede von 1985 nach wie vor als „große“ gilt. Also fährt, nehmen wir es an, der schwarze US-Präsident Obama nach Ferguson und sagt, Rassismus sei nicht gut und aber die US-amerikanische Gesellschaft rassistisch. Ein Trost, gewiß, für jene, die unter diesem Rassismus zu leiden haben, ihm zum Opfer fallen, aber kein Grund für die weiße Mehrheit, die den Freispruch für den weißen Polizisten gutheißt, eine Position zu überdenken, von der sie unter Umständen nicht einmal weiß, daß sie sie hat. (Es gibt ja bekanntlich auch keine Antisemiten in Deutschland. Es gibt nur mündige Bürger, die auf ihr Recht pochen, Israel auf seine ständigen Verbrechen hinzuweisen.)
„Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.“ Markus 7,37
Auch der Chef des Frankfurter Allgemeinen Auslandsressorts ist ja kein Rassist, wenn er sich von den nackten Zahlen, die die USA als rassistisch ausweisen, nicht beirren lassen möchte: „Viele schwarze Amerikaner glauben, daß das Rechtssystem sie systematisch benachteilige; daß weiße Polizisten insbesondere gegenüber jungen Männern schwarzer Hautfarbe mit übertriebener, exzessiver Gewalt aufträten; daß es für sie oft kein Recht gebe. Weswegen so viele Schwarze im Gefängnis säßen. Dieses Gefühl der Benachteiligung mag übertrieben sein; oft wird auch ein Opferstatus konstruiert, um eigene Verbrechen zu kaschieren oder zu bemänteln. Doch daß es Rassismus gibt – allerdings oft nicht nur in eine Richtung –, daß es oft noch eine selektive Verfolgung gibt, das ist auch nicht zu bestreiten.“
Was sollte Obama, in Frankfurt zu Gast, dem Klaus-Dieter Frankenberger sagen, der auf einem Auge blind und auf einem Ohr taub ist? Und natürlich nichts bestreitet, allenfalls ein bißchen, und weißes Vorgehen gegen Schwarze für „übertrieben“ hält, um einen Satz weiter von schwarzen „Verbrechen“ zu reden? Wer glaubt, daß hier Gerede hilft, der will nicht gleiches Recht für alle; der will, daß alle in die Kirche gehen und über Haben und Sein nicht mehr nachdenken. „Es bedarf Gesten der Versöhnung und des Respekts, um das Mißtrauen zwischen Polizei und schwarzer Bevölkerung abzubauen. Es braucht aber noch mehr als das.“
Wir wissen auch, was. Wir wissen es, im Gegensatz zum Frankenberger, wirklich.
(Veranstaltungshinweis: Stefan Gärtner ist am kommenden Dienstag Stargast der monatlichen TITANIC-Lesung im Frankfurter Club Voltaire.)
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