Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Dienst ist Dienst
Für den Fall, dass Sie, liebes Publikum, verzweifelt darauf gewartet haben, dass ich mich zum Thema „Dienstpflicht“ äußere: Ich wollte mich, hahaha!, drücken. Drücken vor dem öden Bekenntnis, das so viele gleichalterige Kollegen in ihre Spalten getippt haben, die Zivildienstzeit habe einem doch sehr gutgetan (obwohl’s freilich stimmt); drücken auch vor der Verlegenheit, mit Kramp-Karrenbauer evtl. einer Meinung sein müssen, wenn auch vielleicht aus besseren Gründen; drücken vor dem notwendig altväterlichen Tonfall, der noch das völlig Richtige nach den Freuden der Pflicht klingen lässt: „Da die meisten Abiturienten nach der Schule aber keine Ahnung haben, was sie tun sollen, setzen sich viele von ihnen erst mal in irgendein Flugzeug [und] blasen Kerosin in die Luft … Wann kommt man schon mal raus aus seinem sozialen Kokon? Freundlich gewendet: Wann hat man schon mal die Möglichkeit, wirklich völlig andere Lebenswelten für ein paar Monate kennenzulernen? Wer jetzt sagt: Da redet irgendein Onkel daher – ja, mag sein. Aber die zehn Jahre des Mäanderns mit Zivildienst, Kellnern im Café, zweckfreiem Lesen, Radtouren durch Europa waren sicher so sinnstiftend und prägend wie alles seither.“
Nun stehen aber auch diese wahren Worte des SZ-Kollegen Rühle, am 9.8. im Feuilleton erschienen, in der Online-Version unter der Spitzmarke „Berufseinstieg“ und der Überschrift „Mit Lebenslauf ist nicht der Weg zur Arbeit gemeint“, und schon haben wir ihn wieder verlassen, den zweckfreien Mäander, wie halt auch ein Pflichtdienst in die Welt der Zwecke gehört: Die Jugend, nachdem man sie auf schneller, höher, weiter (manche sagen: dümmer) gedrillt hat, bekommt jetzt ein Jahr „Lebenserfahrung“ oktroyiert, weil das den Unternehmen, hört man, fehlt. Der Zivildienst alten Zuschnitts war ja ein Ersatzdienst, mithin einer, dem ein „Anti“ eingeschrieben war, und noch wer ihn aus Bequemlichkeit vorzog, wollte sich nicht früh um fünf aus dem Bett brüllen lassen, nur damit der Russe nicht kommt. Der Ersatzdienst war, wie unfreiwillig immer, eine politische, sogar linke Angelegenheit; das Pflichtjahr (als nämlich nationales) wäre eine rechte, wie es ja nie ganz unwichtig ist, wer da nun auf Pflichterfüllung besteht. In Kramp-Karrenbauers Vision wäre das Pflichtjahr ein Dienst an derselben Gesellschaft, die sich zuletzt bloß durch Asozialität, ja „Arschlöcherigkeit“ (Magnus Klaue) hervorgetan hat und deren Solidarität so aussieht, dass, wer arm ist, arm bleibt und dass, wer krank ist, vielleicht bloß operiert wird, weil das dem Krankenhaus Geld einträgt. (In den Tagesthemen präludiert Zamperoni einen Bericht über das wohl ganz und gar vorbildliche dänische System von Sozialsicherheit im Alter mit der Bemerkung, in Skandinavien werde derlei als „Grundrecht“ empfunden. Verrückt.)
„Er trat … genußvoll … an die Tafel, ergriff die Kreide, hob die unansehnliche Hand und schrieb, während ihm der Ärmel bis zum Ellenbogen hinabrutschte, dabei einen trockenen, gelblichen, wenigstens hundertjährigen Arm freigab, das Thema an die Tafel, in seiner gedruckten, schrägen Schrift, in der Schräge der Scheinheiligkeit. Es hieß: ,Die Freuden der Pflicht.’“ Siegfried Lenz, 1968
Der Ersatzdienst konnte in ein Lebensjahrzehnt des zweckfreien Mäanderns gehören, weil Zweckfreiheit, zumindest ideell, noch ausdrücklicher Teil von Adoleszenz war. Das Pflichtjahr wäre bloß ein weiteres Praktikum, dessen Sinn sich darin erschöpfte, orientierungslosen Schulabgängern die Flucht in den Konsumismus zu ersparen, den freilich dieselbe Gesellschaft verantwortet, die den Nachwuchs jetzt so großartig in die antikonsumistische Pflicht nehmen will. Nicht auszuschließen zwar, dass der eine oder die andere nach einem Jahr als Pflegehilfe die Zeitung oder amtliche Armutsberichte mit anderen Augen läse, und wenn Christian Lindner sich gegen die „Verstaatlichung“ von Lebenszeit wendet, müsste man schon wieder dafür sein. Aber dagegen muss ich sein, weil das Pflichtjahr eine Lüge ist, den üblichen trüben Interessen dient und die Verzweckung des Lebens scheinheilig bemäntelt.
Dass ich der eigenen Brut von Australien dringend abriete und ein Freiwilligenjahr empfähle, steht auf einem anderen Blatt; wo nicht auf demselben.
PS. Falls noch wer seit Mai darauf wartet, dass ich mich zum Fall Dieter Hanitzsch/Netanjahu äußere: Seine Kündigung verdankt das Karikaturisten-Urgestein nicht gnadenloser politischer Korrektheit, sondern der „Süddeutschen Zeitung“, denn sein Netanjahu war, täusche ich mich nicht, kein „Stürmer“-Jude, sondern ein SZ-Jude. Den gibt es mittlerweile, aber weil es ihn nicht offiziell gibt, musste Hanitzsch gehen. So einfach ist das manchmal, und nicht, dass man nichts mehr sagen dürfe, ist das Problem, sondern dass sie’s alle ständig sagen, ohne es freilich gesagt haben zu wollen. – Das Sonntagsfrühstück macht Urlaub und ist am 16.9. wieder für Sie da.
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