Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Die Kinder der Kassiererin
Bayern hat die Studiengebühren abgeschafft, und immer (und ausschließlich dann), wenn es um die Studiumsgebühr geht, erinnert sich die Herrschaft mitfühlend an die gesamtideelle Supermarktangestellte: „Die eigentliche Frage ist damit, warum die Lidl-Kassiererin, deren Kinder mit großer Wahrscheinlichkeit nie an die Uni kommen, das Studium des Chefarzt- (oder meinetwegen Kolumnisten-) Nachwuchses finanzieren soll, der genug Geld hätte, einen Teil davon selber zu bezahlen.“ Der Jan Fleischhauer, der diese Meinung hier aufwärmt, ist immerhin so ehrlich, seine Ansicht mit der Klassengesellschaft zu begründen, die für die Proleten und ihre Brut ein Studium halt nicht vorsieht: „Der Hochschulbesuch ist nach wie vor ein Selbstrekrutierungsprogramm der gesellschaftlichen Elite, daran haben alle Reformen der vergangenen Jahre wenig ändern können. Das arme Arbeiterkind, das auf jeder Demonstration gegen die Studiengebühr eine Riesenrolle spielt, mag es in der Theorie geben. Wenn nach der Demo im Hörsaal die Türen zugehen, sind die Bürgersöhne und Bürgertöchter wieder weitgehend unter sich.“ Weswegen, dies der Schluß, nur fair ist, wenn auch nur die für eine Leistung zahlen, die sie auch in Anspruch nehmen und später, als Anwälte, Chefärzte oder Meinungsaufsager bei „Spiegel online“, nicht unerheblich davon profitierten.
"Heißt es nicht allgemein: Besitz ist das halbe Recht; einerlei, wie einer in den Besitz gelangt ist? Oft ist Besitz sogar das ganze Recht." Melville, 1851
Was aber so sagenhaft sozial klingt, ist das Gegenteil: Wer Studiengebühren verteidigt, weil die Unterschicht eh nicht studiert, der verabschiedet sich ganz offiziell von dem Gedanken, sie solle es können dürfen. Und weil auch das Gymnasium nach wie vor ein Selbstrekrutierungsprogramm der gesellschaftlichen Elite ist und die Bürgersöhne und -töchter weitgehend unter sich läßt, wäre die Wiedereinführung des Schulgelds nur konsequent. Denn warum soll die Lidl-Kassiererin, deren Kinder mit großer Wahrscheinlichkeit nie aufs Gymnasium kommen, den Bürgerkindern das Abitur bezahlen? Höhere Formalbildung wäre dann wieder dort, wo sie vor hundert Jahren war, als die kleinen Leute ihre Kinder nur mit Glück und Pfarrers Hilfe auf die Lateinschule kriegten. Aber retro ist ja Trend.
Wer den Mehrwert schafft, ist es gewohnt, daß er das bereitstellt, was die anderen verfressen; eben so funktioniert der Laden ja. Dessen kleine Angestellte so scheinheilig wie punktuell davon zu entbinden ist nichts als das Eigeninteresse, das gerne zahlt, wenn es weiß, was es dafür bekommt: Denn wo's zu viele Anwälte und zu wenige Facharbeiter hat, ist es doch wirklich Quatsch, die Kinder vom Personal auf die Uni zu lassen. Unsere haben es doch so schon schwer genug.
("Was ist heute noch konservativ?" fragt die SZ. Frage beantwortet.)
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