Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Deutschland, einig Vaterland
Am Dienstag (oder Mittwoch) ist dann hoffentlich Ruhe, nach zirka tausend im wesentlichen identischen USA-Analysen, und die tausendunderste stand wochenends im Morgenblatt, Stichwort, ah, zerrissene Nation: „Gibt es überhaupt noch ein Amerika? Oder sind die einst Vereinigten Staaten nicht längst in zwei Entitäten zerfallen – man könnte sie Clinton-Land und Trump-Land nennen –, deren Einwohner zwar die gleichen dunkelblauen Pässe besitzen, die aber im Alltag nichts mehr verbindet außer tiefer gegenseitiger Verachtung?“
Das sind so Fragen; und das sind so die Antworten: „Die Menschen in Trump-Land und in Clinton-Land reden unterschiedlich, sie essen unterschiedlich, sie wohnen an unterschiedlichen Orten und schicken ihre Kinder auf unterschiedliche Schulen. Sie klauben sich ihr Weltbild aus unterschiedlichen Medien zusammen, sie haben unterschiedliche Meinungen, vor allem aber haben sie inzwischen eine sehr unterschiedliche Wahrnehmung davon, was die Tatsachen sind … Es gibt viele Grenzen, die Clinton-Land von Trump-Land trennen – ökonomische, religiöse, ethnische, soziale, kulturelle, politische. Um es sehr grob zu sagen: In Clinton-Land wohnen die wohlhabenden, gebildeten, weißen Liberalen sowie die Minderheiten, Schwarze und Latinos. In Trump-Land wohnt die arme, von der Globalisierung zerriebene weiße Arbeiterschicht und eine gebeutelte Mittelklasse, die eine Heidenangst davor hat, ebenso zu enden.“
Was für ein spezifisch US-amerikanischer Wahnsinn, immer wieder; und es war ein guter Witz des Weltgeistes (eigentlich bloß: der SZ-Redaktion), eine Seite vorm Leitartikel über „Bruchland“ („Die USA sind und bleiben geteilt“) die Seite drei mit einer Reportage über einen Berliner Gerichtsvollzieher zu tapezieren: „Nicht nur die Menschen haben sich verändert, auch der Bezirk. Plötzlich ziehen Studenten nach Oberschöneweide … Dann die jungen Eltern in den Cafés, der Vater schuckelt den Kinderwagen, die Mutter liest Sibylle Berg. Der Soja-Cappuccino kostet 3,50 Euro. ,Das verunsichert die Leute’, sagt Björn Ellendt, der vollstreckt, aber auch vermittelt, der mit den Leuten spricht. Mit den Leuten, die seit Jahren hier wohnen, weil sie darauf angewiesen sind, daß die Mieten bezahlbar bleiben. Das Bier in der Bar ,Hollywood’ kostet am Wochenende einen Euro.“
„U S A ! U S A!“ Homer Simpson, 1992 et passim
Man könnte also sehr grob sagen: Es gibt das Soja-Cappuccino-Land und das Ein-Euro-Bier-Land. Die Menschen in Soja-Cappuccino-Land und Ein-Euro-Bier-Land reden unterschiedlich, sie essen unterschiedlich, sie wohnen, ist die Gentrifizierung erst mal abgeschlossen, an unterschiedlichen Orten und schicken ihre Kinder auf unterschiedliche Schulen. Sie klauben sich ihr Weltbild aus unterschiedlichen Medien zusammen, sie haben unterschiedliche Meinungen, vor allem aber haben sie inzwischen eine sehr unterschiedliche Wahrnehmung davon, was die Tatsachen sind. Es gibt viele Grenzen, die Soja-Cappuccino-Land von Ein-Euro-Bier-Land trennen – ökonomische, religiöse, ethnische, soziale, kulturelle, politische. Sie besitzen, wenn’s hoch kommt, die gleichen roten Pässe, aber im Alltag verbindet sie nichts mehr außer tiefer gegenseitiger Verachtung.
Aber sind „wir“ (FAZ, Taz, Zeit, Welt) deshalb eine zerrissene Nation? Da seien der Führer und seine Nachfolgerinnen vor; oder wenigstens unsere selbstgewissen Qualitätsberichterstatter, dafür angestellt, die Splitter in den Augen der anderen zu sehen und ex negativo eine Volksgemeinschaft zu beschwören, wo andere bloß Klassenkampf haben. Es ist wirklich nicht auszurotten; und wenn ich es noch tausendmal sage.
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