Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Deutsch im Original
Der Publizist Sebastian Haffner, der ein kluger und mitreißender, freilich auch konservativer und nicht ganz unfrivoler Schriftsteller war, hatte in seinen klugen und mitreißenden, freilich auch konservativen und nicht ganz unfrivolen „Anmerkungen zu Hitler“ den Einfall, Hitler eher einen Bolschewiken denn einen Faschisten sein zu lassen, denn was sei, angesichts der vergleichbar kollektiv verfaßten Gesellschaften, Stalins „Sozialismus in einem Lande“ terminologisch anderes als eben ein „Nationalsozialismus“?
Die Worte, die Worte, die Worte, und zum 1. Mai räumte Gustav Seibt in der SZ seinerseits mit dem begriffsgestützten Vorurteil auf, Neoliberalismus sei etwas Schlimmes. Walter Eucken, Alfred Müller-Armack, Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke, Erfinder des historischen Neoliberalismus 1930ff., „waren alles andere als Marktradikale“, gerade Röpke nicht, der allenfalls „zeitgemäß ,anti-kollektivistisch’“ war. „An die Planwirtschaft der Funktionäre und Bürokraten glaubt er nicht. Den ,Plan’ machen für ihn die Konsumenten mit ihren Bedürfnissen, auf einem Markt, der in einer ,Anarchie ohne Chaos’ lebt … Doch dafür bedarf es rechtlicher und moralischer Rahmenbedingungen: einen starken und unparteiischen Staat“, und zwar „als Schiedsrichter. Man müsse, schreibt Röpke, den ,Kapitalismus vor den Kapitalisten’ schützen. Die Finanzwirtschaft mit ihrer Tendenz, der Allgemeinheit die Übernahme der Risiken aufzubürden – Röpke schreibt ausdrücklich von ,Sozialisierung der Verluste’ – ist ihm schon damals tief suspekt.“
„,Warum heißt das Bett nicht Bild’, dachte der Mann und lächelte, dann lachte er, lachte, bis die Nachbarn an die Wand klopften und ,Ruhe’ riefen. – ,Jetzt ändert es sich’, rief er, und er sagte von nun an dem Bett ,Bild’.“ Bichsel, 1969
Der eigentlich gute Neoliberalismus ist also nicht Credit Suisse und Hedgefonds, sondern Daimler-Benz und BASF, die ihre Verluste bekanntlich eher aufessen, als sie zu sozialisieren: eine rheinische Deutschland-AG, beruhend auf der „Freiburger Schule, die später die soziale Marktwirtschaft begründete. Der Markt sollte sowohl vor der politischen Übermacht staatlicher Regulierung wie vor der ökonomischen Übermacht großer Firmen geschützt werden – das ist genuin ,liberal’, aber nicht marktradikal, eben weil auch zu starke Marktteilnehmer gebändigt werden sollen. Der übermächtige Staat, der mit seinen Schulden ganze Volkswirtschaften in den Abgrund reißen kann, vertritt selten das Gemeinwohl, so diagnostizierte Röpke kühl, sondern die Interessen der ihn beherrschenden und ausbeutenden Gruppen. Dafür ist Griechenland heute ein bizarres Beispiel, aber natürlich lassen auch Putins Rußland und Chinas gelenkte Marktwirtschaft solche Pathologien erkennen.“
Ganz anders als die pumperlgsunde, gemeinwohlorientierte und nämlich auch schuldenfreie deutsche, die gar nicht daran denkt, zugunsten von (Kapital-)Herrschaft zu operieren: „Daß das Problem übermächtiger Firmen heute zurückgekehrt ist, muß im Zeitalter von Google und Facebook kaum erläutert werden“, während die deutsche Demokratie zwischen Audi und Evonik bekanntlich allenfalls ein klein bißchen marktkonform ist. „Schuldenkrise, autoritäre Marktwirtschaften, Internet- und Finanzgiganten – die miteinander zusammenhängenden Probleme“, die das Ausland sich und uns unpolitischen Betrachtern aufhalst, „auf die der ursprüngliche Neoliberalismus mit seinen Ordnungsideen reagierte, sind alle wieder da“, weshalb es an der Zeit ist, „das Original des Neoliberalismus wiederzuentdecken“.
Als nämlich romantisch-hegelianische Idee, die den Staat als grundvernünftige Neutralinstanz vorsieht und nicht als (ich weiß, klingt langweilig) Agentur der Bourgeoisie. Und daß wir eine neue soziale Marktwirtschaft bräuchten, fordert allerdings auch die marktradikale „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“, die darauf, daß unsere Feuilletonisten ihren Ludwig Erhard wiederhaben wollen, gern eine Kiste Schampus trinkt.
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