Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Der Blick von außen
Die mit Abstand putzigste Idee im kurrenten Preßgeschäft ist der „Schwerpunkt ,Arm und Reich’“ der Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, unter welchem Rubrum Beitrag für Beitrag für Beitrag kritisch über die wachsende Ungleichheit in Deutschland und der Welt berichtet wird. Es gibt da die guten und die schlechten Nachrichten; einerseits: „Mehr alte Menschen beziehen Stütze“, andererseits: „Reiche leisten sich mehr Luxusgüter“. Einerseits wird aufgedeckt, daß „Kinder von Besserverdienern“ zu „Narzißmus“ neigen und deshalb, schlimm, nicht automatisch „gute Manager“ werden, andererseits ein Hartz-IV-Kind begleitet, das zwar satt wird und nicht frieren muß, im übrigen aber ein Fall für den Sozialarbeiter ist:
„,Spürt eine Siebenjährige schon so etwas wie Perspektivlosigkeit?’ ,Ja und nein’, sagt Iwan Peters. ,Das Kind sieht natürlich schon: Papa sitzt zu Hause und tut nichts. Mama sitzt auch zu Hause. Und es ist immer wenig Geld da.’ Aber da sei eben noch viel mehr. ,Der Blick von außen auf das Kind. Daß sie in dieser Straße wohnt. Daß sie bestimmte Kleidung trägt. Daß sie hin und wieder zusammen mit der Mutter bei der Tafel Schlange steht.’ Die Mittelschicht von der anderen Seite des Bahndamms schaue sehr hart und sehr negativ auf die Straße, in der Vanessa wohnt. ,Alles Assis dort, heißt es dann.’ Und in der Schule werde sie automatisch als schwach eingestuft. Wegen ihres Sozialverhaltens, sagt Peters. ,Da ist man schnell dabei mit allen möglichen Fördermaßnahmen. Mit Ergotherapie und Logopädie und so weiter. Und Förderung, das heißt halt auch oft, daß man die Kinder schnell aussortiert.’ Es sei denn, sie seien ,echte Granaten’ und haben nur Einsen auf dem Zeugnis. ,Oder vielleicht haben manche das Glück, einen der wenigen Gesamtschulplätze zu bekommen, was ihnen noch gewisse Aufstiegschancen ermöglicht. Aber das ist eben selten.’ Das alles spüre ein Kind in Vanessas Alter noch wenig. ,Aber die Eltern spüren es.’ Vanessas Mutter sagt es so: ,Ich kann mir ein Bein ausreißen, und sie landet trotzdem maximal auf der Hauptschule.’“
„Je unerbittlicher Vergesellschaftung aller Momente menschlicher und zwischenmenschlicher Unmittelbarkeit sich bemächtigt, desto unmöglicher, ans Gewordensein des Gespinsts sich zu erinnern; desto unwiderstehlicher der Schein von Natur.“ Adorno, 1966
Dreierlei bestimmt nun den kritischen Schwerpunkt „Arm und Reich“ im Onlinebereich der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Erstens: gibt es keinen Zusammenhang zwischen den Reichen, die nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Geld, und den Rentnern, die staatlicher Grundsicherung bedürfen. Zweitens: ist alles halb so schlimm („Das Märchen von der Altersarmut“). Drittens: kann die Leserschaft sich im Kommentarbereich darüber austauschen, warum schon alles seine ewige Gerechtigkeit hat. „Die Eltern bestimmten die Gene des Kindes, sie bestimmten die Umstände im Mutterleib (Rauchen? Alkohol?), und sie bestimmten (weit mehr als Kindergarten/Schule) die ,Umweltbedingungen’ … Der Artikel erwähnt nicht, was in Vanessas Wohnung mit Sicherheit fehlt: Bücher. Damit meine ich nicht Kinderbücher, sondern Bücher für Erwachsene. Allein der Wortschatz, den die Eltern ihrem Kind als Rüstzeug mitgeben, dürfte sehr begrenzt sein. Leider hat Sarrazin leider recht: entscheidend ist, WER Kinder bekommt … Geld-Probleme?! Und die Mutter raucht … Jeder hat die Möglichkeit, aus wenig mehr zu machen.“
Die SZ, als hätte sie mitgelesen, unterhält sich am Freitag mit dem Münchner Soziologen Lessenich über die deutsche Mittelschicht und deren „rabiate Exklusionsmethoden“: „Inklusion und Exklusion gehen Hand in Hand. Das ist ein feststehender sozialer Mechanismus: sobald man im Club ist, die Türen zu schließen – für alle, die von unten kommen … Die anderen liegen in der sozialen Hängematte. Oder lesen abends ihren Kindern nichts vor. Das übersetzt sich in harte Ausgrenzungsdiskurse und im Zweifelsfall in Ausgrenzungspolitik à la Hartz.“ Was zu beweisen war; und die Klage über unsere „schrumpfende Mittelschicht“ will da fast so scheinen wie die Beschwerde, der Tumor werde immer kleiner.
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