Newsticker

Nur diese Kategorie anzeigen:Gärtners Sonntagsfrühstück Eintrag teilenEintrag per Email versenden Mit Facebook-Freunden teilen Twittern mit Google+ teilen

Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Das Privileg

Everyday is like Sunday, sang Morrissey mal, bevor er verrückt wurde, und was man am Sonntag gut machen kann, ist Socken sichten. Meine füllen nämlich einen doppelt schuhkartongroßen Ikea-Kunststoffkasten, dem ich stets bloß die oberste dünne Schicht entnehme, und was darunter ist, wollte ich bislang so genau nicht wissen. Jetzt weiß ich es: zwei paar Wandersocken (letzte Wanderung 2004 oder so), fünf Paar sog. Füßlinge (für den Sommer), mehrere Paar alte, noch funktionstüchtige Sportsocken, die den voriges Jahr getätigten Kauf neuer Sportsocken, zumal bei meinem Pensum, eher unnötig erscheinen lassen, außerdem diverse alte Stücke, die sich in der Waschmaschine über die Zeit auf Damen-, wenn nicht Kindergröße reduziert haben. Überdies, und das ist die gute (oder, je nachdem, schlechte) Nachricht, besitze ich aber Socken, die es „noch tun“ und bloß nach unten gerutscht waren. Weil ich nämlich, wie es aussieht, zu viele Socken besitze.

Das geht die Welt, möchte man finden, natürlich wenig an, und tut es aber doch, wenn man bedenkt, wer die Baumwolle wo unter welchen Umständen anbaut und zu Socken verarbeitet, die dann bei mir im Schrank verschwinden, und wie gut, dass mir eben eine Reklamebroschüre aus dem Morgenblatt entgegenflog, die „Push Fairtrade“ heißt und davon handelt, dass man keine schlechten Klamotten kaufen soll oder besser noch gar keine, wobei die wohlfotografierte Werbung für Bustiers von Comazo oder Tops von Thokk Thokk sicher dem ersteren dienen. Eine Anna Kessel, ihres Zeichens „Co-Gründerin vom Online-Magazin ,Die Konsumentin’“, nimmt uns an die Hand: „Konsum, dessen müssen wir uns bewusst werden, ist ein Privileg. Den Preis für die günstige Mode zahlen aber die Fabrikarbeiter*innen. Können wir als Konsument*innen im globalen Norden einen Unterschied machen? Ja“, und da spricht Anna Kessel vom Online-Magazin „Die Konsumentin“ als „leidenschaftliche Modetragende, die sich in den letzten Jahren intensiv mit fair und ökologisch verträglich produzierenden Marken beschäftigt hat“. Und aber immerhin weiß, dass „über die sehr persönliche Reflexion des Konsumverhaltens hinaus“ eine „unternehmerische Sorgfaltspflicht“ her und „auf die politische Agenda“ müsse.

„Eins und eins, das macht zwei“ Hildegard Knef, 1963

Lest mich genau, lest mich gut! bittet Nietzsche zu Beginn seiner „Morgenröte“, aber so fein muss unser Besteck hier gar nicht sein: Fabrikarbeiterinnen zahlen den Preis ja nicht nur für die günstige Mode, sie zahlen den Preis immer, und noch in der vorbildlichen indischen Fairtrade-Kooperative, vorgestellt auf Seite 4, leben die Menschen „einfach. Sie haben Häuser mit ein bis zwei Zimmern und versorgen sich zu einem Großteil mit selbst angebautem Gemüse“. Fairtrade sorge nun dafür, dass es ihnen besser geht als den meisten anderen, und wir glauben es gern; wissen aber außerdem, dass es am Gegenüber von Arm und Reich nichts ändert, es bestenfalls zu einem sozialdemokratischen Mit- oder Nebeneinander modelt. Ist es unfair zu fragen, wie viele Zimmer die Wohnung von Anna Kessel hat, die möchte, dass die Unternehmer*innen ihrer Sorgfaltspflicht genügen, und die zwar den „Dreisatz der Nachhaltigkeit: Reduce, Reuse, Recycle“ aufsagen kann, aber keine lesbaren Schwierigkeiten damit hat, dass irgendwo Kleinbauern für die Baumwolle zuständig sind und die Unternehmerinnen des globalen Nordens fürs Sakko von Cherry Pieces und das Polo von White Stuff? Sachen, denen manche die günstige Mode, die zu Lasten asiatischer Fabrikbesatzungen geht, aber auch vorziehen müssen, weil es etwa in Niedersachsen schon bald 200 Euro kostet, ein Kind für die erste Klasse auszustatten?

Fairtrade ist besser als nichts, aber nicht besser als das, was besser wäre, und ob man ihm’s nun vorhalten will, dass es gaukelt, es müsse sich niemand mehr auf die Socken machen, oder lieber auf die Kleinbäuerin verweisen, der’s in einer Kooperative vergleichsweise gut geht, ist eine Sonntagsfrage, die sich metaphorisch schön beantworten lässt: gehören zu einem Sockenpaar doch beide.




Eintrag versenden Newstickereintrag versenden…
Felder mit einem * müssen ausgefüllt werden.

optionale Mitteilung an den Empfänger:

E-Mail-Adresse des Absenders*:

E-Mail-Adresse des Empfängers*
(mehrere Adressen durch Semikolon trennen, max. 10):

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick