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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Das Privileg

Everyday is like Sunday, sang Morrissey mal, bevor er verrückt wurde, und was man am Sonntag gut machen kann, ist Socken sichten. Meine füllen nämlich einen doppelt schuhkartongroßen Ikea-Kunststoffkasten, dem ich stets bloß die oberste dünne Schicht entnehme, und was darunter ist, wollte ich bislang so genau nicht wissen. Jetzt weiß ich es: zwei paar Wandersocken (letzte Wanderung 2004 oder so), fünf Paar sog. Füßlinge (für den Sommer), mehrere Paar alte, noch funktionstüchtige Sportsocken, die den voriges Jahr getätigten Kauf neuer Sportsocken, zumal bei meinem Pensum, eher unnötig erscheinen lassen, außerdem diverse alte Stücke, die sich in der Waschmaschine über die Zeit auf Damen-, wenn nicht Kindergröße reduziert haben. Überdies, und das ist die gute (oder, je nachdem, schlechte) Nachricht, besitze ich aber Socken, die es „noch tun“ und bloß nach unten gerutscht waren. Weil ich nämlich, wie es aussieht, zu viele Socken besitze.

Das geht die Welt, möchte man finden, natürlich wenig an, und tut es aber doch, wenn man bedenkt, wer die Baumwolle wo unter welchen Umständen anbaut und zu Socken verarbeitet, die dann bei mir im Schrank verschwinden, und wie gut, dass mir eben eine Reklamebroschüre aus dem Morgenblatt entgegenflog, die „Push Fairtrade“ heißt und davon handelt, dass man keine schlechten Klamotten kaufen soll oder besser noch gar keine, wobei die wohlfotografierte Werbung für Bustiers von Comazo oder Tops von Thokk Thokk sicher dem ersteren dienen. Eine Anna Kessel, ihres Zeichens „Co-Gründerin vom Online-Magazin ,Die Konsumentin’“, nimmt uns an die Hand: „Konsum, dessen müssen wir uns bewusst werden, ist ein Privileg. Den Preis für die günstige Mode zahlen aber die Fabrikarbeiter*innen. Können wir als Konsument*innen im globalen Norden einen Unterschied machen? Ja“, und da spricht Anna Kessel vom Online-Magazin „Die Konsumentin“ als „leidenschaftliche Modetragende, die sich in den letzten Jahren intensiv mit fair und ökologisch verträglich produzierenden Marken beschäftigt hat“. Und aber immerhin weiß, dass „über die sehr persönliche Reflexion des Konsumverhaltens hinaus“ eine „unternehmerische Sorgfaltspflicht“ her und „auf die politische Agenda“ müsse.

„Eins und eins, das macht zwei“ Hildegard Knef, 1963

Lest mich genau, lest mich gut! bittet Nietzsche zu Beginn seiner „Morgenröte“, aber so fein muss unser Besteck hier gar nicht sein: Fabrikarbeiterinnen zahlen den Preis ja nicht nur für die günstige Mode, sie zahlen den Preis immer, und noch in der vorbildlichen indischen Fairtrade-Kooperative, vorgestellt auf Seite 4, leben die Menschen „einfach. Sie haben Häuser mit ein bis zwei Zimmern und versorgen sich zu einem Großteil mit selbst angebautem Gemüse“. Fairtrade sorge nun dafür, dass es ihnen besser geht als den meisten anderen, und wir glauben es gern; wissen aber außerdem, dass es am Gegenüber von Arm und Reich nichts ändert, es bestenfalls zu einem sozialdemokratischen Mit- oder Nebeneinander modelt. Ist es unfair zu fragen, wie viele Zimmer die Wohnung von Anna Kessel hat, die möchte, dass die Unternehmer*innen ihrer Sorgfaltspflicht genügen, und die zwar den „Dreisatz der Nachhaltigkeit: Reduce, Reuse, Recycle“ aufsagen kann, aber keine lesbaren Schwierigkeiten damit hat, dass irgendwo Kleinbauern für die Baumwolle zuständig sind und die Unternehmerinnen des globalen Nordens fürs Sakko von Cherry Pieces und das Polo von White Stuff? Sachen, denen manche die günstige Mode, die zu Lasten asiatischer Fabrikbesatzungen geht, aber auch vorziehen müssen, weil es etwa in Niedersachsen schon bald 200 Euro kostet, ein Kind für die erste Klasse auszustatten?

Fairtrade ist besser als nichts, aber nicht besser als das, was besser wäre, und ob man ihm’s nun vorhalten will, dass es gaukelt, es müsse sich niemand mehr auf die Socken machen, oder lieber auf die Kleinbäuerin verweisen, der’s in einer Kooperative vergleichsweise gut geht, ist eine Sonntagsfrage, die sich metaphorisch schön beantworten lässt: gehören zu einem Sockenpaar doch beide.




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Rechtzeitig zur Urlaubsartikelsaison, »Spiegel«,

lesen wir in Deinem Urlaubsartikel »Entzauberte Idylle« die Behauptung: »In den Ferien wollen wir doch alle nur eins: Aperol Spritz und endlich mal in Ruhe lesen.«

Das können wir natürlich sehr gut verstehen. Wir wollen in den Ferien auch nur eins: 1. eine eigene Softeismaschine auf dem Balkon, 2. einen Jacuzzi im Wohnzimmer, 3. eine Strandbar auf dem Balkon, 4. einen Balkon.

Deine Urlaubsmathematiker/innen von Titanic

 Kopf einschalten, »Soziologie-Superstar« Hartmut Rosa (»SZ«)!

Wahrscheinlich aus dem Homeoffice von der Strandbar tippen Sie der SZ dieses Zitat vor die Paywall: »Früher waren zum Beispiel die beruflichen Erwartungen, wenn man zu Hause war, auf Standby. Heute kann man andersherum auch im Büro natürlich viel leichter nebenbei private Kommunikation erledigen. Man kann nichts mehr auf Standby schalten, selbst im Urlaub.«

Ihr Oberstübchen war beim Verfassen dieser Zeilen ganz offenbar nicht auf Standby, denn dieser Begriff bezeichnet laut dem Cambridge Dictionary »something that is always ready for use«. Also sind wir gerade im Urlaub und im Feierabend heutzutage für den Job immer im Standby-Modus – also auf Abruf –, anders als bei der Arbeit, wo wir »on« sind, und anders als früher, wo wir dann »off« waren und daher alles gut und kein Problem war.

Dagegen dauerhaft abgeschaltet sind Ihre Hardwarespezis von Titanic

 It’s us, hi, Kulturwissenschaftler Jörn Glasenapp!

Dass Sie als Verfasser einer Taylor-Swift-Monographie Ihren Gegenstand öffentlich verteidigen, etwa im Deutschlandfunk Nova oder bei Zeit Campus: geschenkt. Allein, die Argumente, derer Sie sich dafür bedienen, scheinen uns sanft fragwürdig: Kritik an Swift sei eine Sache »alter weißer Männer«, im Feuilleton herrsche immer noch König Adorno, weshalb dort Pop und »Kulturindustrie« unentwegt verdammt würden, und überhaupt sei die zelebrierte Verachtung des Massengeschmacks eine ausgesprochen wohlfeile Methode, Distinktion zu erzeugen, usw.

Je nun, Glasenapp: Wir sind in der privilegierten Position, dass es uns erst mal egal sein kann, ob Taylor Swift nun gute Kunst macht oder schlechte. Wir sind da pragmatisch: Manchmal macht das Lästern Spaß, manchmal der Applaus, je nachdem, wer sich gerade darüber ärgert. An Ihnen fällt uns bloß auf, dass Sie selbst so ein peinlicher Distinktionswicht sind! Denn wenn unter alten weißen Männern Swiftkritik tatsächlich Konsens und Massensport ist, dann sind Sie (*1970) wieder nur der eine nervige Quertreiber, der sich abheben will und dazwischenquäkt: Also ich find’s eigentlich ganz gut!

Finden das eigentlich auch ganz gut: Ihre Affirmations-Aficionados von Titanic

 Tagesschau.de!

»Sei nicht immer so negativ!« wollten wir Dir schon mit auf den Weg geben, als Du vermeldetest: »Juli stellt knapp keinen Temperaturrekord auf«. Auf Schlagzeilen wie »Zehnkämpfer Leo Neugebauer erringt in Paris knapp keine Goldmedaille«, »Rechtsextremer Mob erstürmt im nordenglischen Rotherham knapp kein potentiell als Asylunterkunft genutztes Hotel« oder »19jähriger Islamist richtet bei Taylor-Swift-Konzerten in Wien knapp kein Massaker an« hast Du dann aber doch verzichtet.

Es gibt sie also noch, die positiven Nachrichten.

Vor allem von Titanic

 Eine dicke Nuss, »ZDF heute«,

hast Du uns da zu rechnen gegeben: »Die Summe aus sinkenden Ticketverkäufen und gestiegenen Kosten« führe dazu, dass Festivals heutzutage meist ein »Minusgeschäft« seien.

Also wenn man die Ticketverkäufe und die gestiegenen Kosten addiert, wie man es ja in der Erstsemester-BWL-Vorlesung gelernt hat, und davon ausgeht, dass die Ticketverkäufe trotz Flaute größer als Null bleiben und auch die Kosten eine positive Zahl bilden, die Summe entsprechend ebenfalls positiv bleibt (und kein »Minusgeschäft« ergeben kann), dann müsste das Ergebnis doch sein … hmm … ja, genau: dass Du wirklich keine Ahnung von Mathe hast.

Aber mach Dir nichts draus, dafür hast Du ja Deine Zählsorger/innen von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Zero Punkte für den Underdog

Nach meinem Urlaub in Holstein möchte ich an dieser Stelle eine Lanze für die oft zu Unrecht belächelte Ostsee brechen. Jene, so heißt es, sei eigentlich gar kein richtiges Meer und habe ihre unwürdige Existenz bloß einer brackigen XXL-Schmelzwasserpfütze zu verdanken. Wellen und Brandung seien lächerlich, die Strände mickrig und das Leben unter Wasser mit der Artenvielfalt in einem Löschtümpel vergleichbar. Außerdem habe ein Gewässer, in das man vierhundert Meter hineinschwimmen und danach selbst als Siebenjähriger noch bequem stehen könne, das Prädikat »maritim« schlicht nicht verdient. Vorurteile, die ich nur zu gerne mit fantastischen Bildern und spektakulären Videos widerlegen würde. Doch daraus wird dieses Mal nichts. Leider habe ich meine kompletten Küsten-Campingferien aus Versehen im »Freibad am Kleinen Dieksee« verbracht und den Unterschied erst zu spät bemerkt!

Patric Hemgesberg

 Europa aphrodisiakt zurück

Wenn es hierzulande etwas im Überfluss gibt, dann verkalkte Senioren und hölzerne Greise. Warum also nicht etwas Sinnvolles mit ihnen anfangen, sie zu Pulver zerreiben und in China an Tiger gegen Schlaffheit der Genitalien verkaufen?

Theobald Fuchs

 Fachmann fürs Leben

Im Gegensatz zur Schule hat man im Zivildienst viele nützliche Dinge gelernt. Zum Beispiel, dass man die Körper von Menschen, die sich selbst nicht mehr bewegen können, regelmäßig umlagert, damit keine Seite wund wird. Um anhaltenden Druck auf die Haut zu minimieren, wende ich auch heute noch die Pfirsiche in der Obstschale alle paar Stunden.

Friedrich Krautzberger

 Wahre Männer

Auto verkauft, weil das gute Olivenöl zu teuer geworden ist.

Uwe Becker

 Hybris 101

Facebook und Instagram, die bekanntesten Ausgeburten des Konzerns Meta, speisen seit kurzem auch private Daten ihrer Nutzer in die Meta-eigene KI ein. Erst wollte ich in den Einstellungen widersprechen, aber dann dachte ich: Ein bisschen Ich täte der KI schon ganz gut.

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
Titanic unterwegs
18.09.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
18.09.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.09.2024 Berlin, Kulturstall auf dem Gutshof Britz Katharina Greve
19.09.2024 Hamburg, Centralkomitee Hauck & Bauer