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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Das Auto

Manchmal denke ich, wäre ich doch mal aus der Wiege auf den Kopf gefallen, dann könnte ich heute Fernsehkorrespondent fürs ZDF in Brüssel sein, und hätte es in den Niederlanden eine (umstrittene) Ausstellung über Nazi-Ästhetik, dann müsste mir zu dieser Ästhetik nur einfallen, dass Nazikunst einzig dazu dagewesen sei, den Nazis die Macht zu sichern. Ein Satz, der alles sagt und gleichzeitig gar nichts und also wie gemacht fürs Fernsehen war.

In Berlin hat ein zeitgenössisches Großes Fahrzeug einen Unfall mit doppelter Todesfolge verursacht, und am Ende einer Woche, in der die Diskussion darüber simuliert wurde, ob Große Fahrzeuge zu verbieten seien oder die Innenstädte inskünftig meiden müssten, meldete sich im Morgenblatt der Dr. Dr. Rainer Erlinger zu Wort, der früher im „Magazin“ die Lebenshilfespalte betreute, was er gut gemacht hat, wie man spätestens dann finden darf, wenn man das unfundierte bis ridiküle Geplapper seiner Nachfolgerin Adorján liest. Nach sehr vielen Zeilen, in denen nichts stand, was man nicht schon wusste, etwa über die Ästhetik Großer Fahrzeuge als eine der Aggression, zog Erlinger dann aber in Zweifel, ob „optisch aggressives Aussehen ein Verbot“ rechtfertige und verlangte „Zahlen und Fakten wie Größe, Verbrauchswerte oder Unfallstatistik“: „Auch eine höhere Besteuerung mag durchaus Argumente für sich haben. Wenn der Forderung danach jedoch ästhetische oder Antipathie-Gründe zugrunde liegen, macht sie das fragwürdig.“ Denn über Geschmack, wussten schon die alten Römer, lässt sich nicht streiten, und dass die Leut’, die Qualitätspresskundschaft zumal, nun mal gern Große Fahrzeuge bewegen, ist das Hauptargument von Autoindustrie und der ihr angeschlossenen Presse von FAZ bis „Welt“.

„Rote Riesen sind ,alternde’ Sterne, … in deren Kern das ,Wasserstoffbrennen’ (4 Protonen zu 1 Heliumkern) mangels Nachschub erloschen ist. Sie verlagern sich daraufhin aufs Schalenbrennen und dehnen sich auf etwa das Hundertfache aus … Nach weiteren Jahrmillionen enden sie – je nach Restmasse – als Weißer Zwerg oder als Neutronenstern.“ Wikipedia, o.J.

Wie Erlinger darauf kommen kann, Politik und Ästhetik hätten nichts miteinander zu tun, ist aber selbst dann erstaunlich, wenn man sich den Teil des BMW-Werbeetats vorstellt, der bei der SZ landet, und ebenda wusste es der Großdesigner Philippe Starck vor Jahren besser: „Alles, was der Gesellschaft nutzt, ist politisch. Dazu gehört auch Design. Sehen Sie sich die Autos an: Manche sind feminin, manche Macho, manche sind links, manche, wie ein Hummer, extrem rechts. Ich habe meine Arbeit immer als politisch verstanden. Politik ist alles, es fängt schon damit an, welches Mineralwasser Sie trinken.“ Das Große Fahrzeug ist so rechts, weil es so viele neoliberale Ideologeme abbildet: das Wachstum, die Freiheit, den antizivilisatorischen Outdoor-Fetisch, und also hat der Kapitalismus das Große Fahrzeug nicht erfunden, um seine Macht zu sichern, sondern drückt sich unmittelbar in ihm aus; und zwar sogar durchaus unsubtiler, als sich Faschismus etwa in Adolf Zieglers „Vier Elementen“ ausdrückt.

Das Große Fahrzeug ist das Symbol des späten Kapitalismus schlechthin, gerade auch darin, dass er so unverhohlen „vernunftverlassen“ (Pohrt, Werke 1, Berlin 2019) ist und seine Versprechen Lüge sind, von der grenzenlosen Mobilität über Stock und Stein, die, wo sie nicht täglich im Stau endet, als vollendete bloß Sklaverei ist, über die Sicherheit, die bloß als Mischung aus Paranoia und Gewaltbereitschaft Gestalt gewinnt, bis hin zum „souveränen Fahren“, das jetzt ein Vertreter der Industrie als Kundenwunsch formulierte und welches die Ersatzhandlung Autofahren noch einmal karikiert. Große Fahrzeuge sind, und deshalb sind sie in der Mittelschicht so beliebt, Ausdruck der Identifikation mit der Macht, und der vulgäre Auftritt und ostentative Ressourcen- und Raumverbrauch sprechen darum für und nicht gegen sie. In diese Richtung kann darum überhaupt nicht argumentiert werden.*

Für andere tödlich, für den, der drin und obenauf ist, prima: Kapitalismus, voilà. Ein Verbot Großer Fahrzeuge ist deshalb vollkommen illusorisch und jede Diskussion darüber Schwindel.

*Ein veritabler Tucholsky-Satz; dass ich, obwohl meine Kolumnen sich durch kompromisslose Entlarvung gesellschaftlicher Missstände, präzise Sprache und gekonnte Ironie auszeichnen und damit „unzweifelhaft in der Tradition Kurt Tucholskys“ stehen, den Kurt-Tucholsky-Preis auch dieses Jahr nicht kriege, ist da nur gerecht. Wo ich gar nicht wusste, dass es den gibt!




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/i nnen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt