Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Ad acta
Unsere Eliten stehen ja neuerdings unter Beschuß; aber nicht wegen Lüge, DAX und Ausbeuterei, sondern ihrer kulturellen Hegemonie wegen. Der verläßliche, im Zweifel überaus linke J. Augstein: „Es gab einen Vertrag, der stand nirgendwo geschrieben. Sein Inhalt war einfach: Die sogenannten kleinen Leute duldeten die gesellschaftliche Liberalisierung, mit der sie in Wahrheit wenig anfangen konnten. Im Gegenzug machten die liberalen Eliten ihren Einfluß dafür geltend, daß Ungerechtigkeit und Chancenungleichheit nicht überhand nahmen. Die Eliten haben diesen Vertrag gekündigt. Warum haben sie nicht gesagt: Wir wollen keine Ehe für alle, solange es keine gerechten Löhne gibt. Wir wollen keine Gleichberechtigung der Frauen, solange Arbeiter befristet beschäftigt werden dürfen.“
„Ja, warum nur?“ frug da der liebe Kollege Mark-Stefan Tietze auf Facebook retour. „Vielleicht, weil die liberalen Eliten auch sonst gar nicht so viel Interesse an gerechten Löhnen und unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen für Arbeiter zeigen? Und man auf Ehe für alle und Gleichberechtigung der Frau sonst bis zur Weltrevolution warten müßte?“ Im übrigen bestünden Augsteins sogenannte kleine Leute ja hier und da wohl ebenfalls aus Schwulen, Lesben oder Frauen; und also muß ich hier nicht ausholen, sondern kann diesen Quatsch und Stuß als von fremder Feder erledigt zu den Akten tun. Auch mal schön.
„Sprechen Sie leise, mein Mann ist zuhause.“ Ibsen, 1879
In einem anderen Fall schimpft nun Elite auf Elite. Nachdem der Vorsitzende des Daimler-Konzerns sich beim offiziellen China servilst dafür entschuldigt hatte, mit einem Satz des Dalai Lama geworben zu haben, verlor der (gute) Korrespondent des Morgenblatts die Fassung: „Das war ein jämmerliches Schauspiel … Der Kotau vor Peking ist eine Ohrfeige für jenen Rest der Welt, der erstens die Meinungsfreiheit und zweitens vielleicht auch den Dalai Lama ganz in Ordnung findet. Aber es geht ja gar nicht um Respekt. Es geht um die Angst und ums Geschäft.“ Ein „unwürdiges Schauspiel“ sah auch die FAZ, die eigentlich nichts dagegen hat, wenn es ums Geschäft und um die Angst geht (sog. Kapitalismus) und die es aber, sowenig wie der Münchner Kollege, nicht gewohnt ist, wenn es irgendwo einen Primat der Politik gibt.
„Der Vorfall ist lehrreich“ (SZ), aber nicht nur wegen „Chinas Streben nach Weltherrschaft“ (FAZ), sondern wegen des Blicks auf Roß und Reiter. Westliche Werte, jammerte München, habe Daimler „verraten“, als sei die Mönchsherrschaft, für die der sog. Dalai Lama steht, ein Vorbild, und gab wie von ungefähr einen Hinweis darauf, wie sich die westlichen Werte verstehen: als solche nämlich, die darauf gründen, daß die Politik vor der Wirtschaft zu kuschen hat und nicht etwa umgekehrt. Wie unerhört und skandalös, daß der Chef eines Weltunternehmens vor der Politik kriecht! Aber „Rückgrat zu verkaufen“ (SZ), nebbich: Wer auf Teufel komm raus verkaufen muß, der darf keins haben, und wer einer Gesellschaft vorsteht, die dem Verkauf zu Füßen liegt, der muß keins haben. Grad wenn sie weithin selbst keins hat: „Kunst an der Kanne: Kaffee darf man nicht einfach mehr so trinken. Schon die Zubereitung soll zelebriert werden. Stil, S. 53“ (ebd).
Und zum Teufel mit dem offiziellen China, aber zu solch einer Umkehrung der Verhältnisse wäre freilich zu finden, wollen wir von den Zetsches sowenig regiert werden wie von den Xis. Und also muß ich hier nicht ausholen, sondern kann diesen Quatsch und Stuß als von fremder Feder erledigt zu den Akten tun. Auch mal schön.
◀ | Katharina Greve am Sonntag | Update: Die neuen "Reiseziele" von Martin Chulz | ▶ |
Newstickereintrag versenden…