Aus Eugen Egners Püppchenstudio
Beim Aufzeichnen der Neujahrsansprache
Wohnungsbesichtigung
Gleich zu Beginn der Wohnungsbesichtigung schlief ich ein. Als ich wieder erwachte, unterhielten sich drei ältere Männer mit mir. Das Gespräch fand auf einer breiten und sehr tiefen Liege statt, auf der alle bequem Platz hatten. Zwischen den Männern und mir befand sich, mal kauernd, mal liegend, mal sitzend, eine Gummipuppe, annähernd lebensgroß und einen blassen Mann mit schwarzem Bart vorstellend. Sie war in ein Kapuzengewand gehüllt, so daß nur das stilisierte Gesicht herausschaute. Hin und wieder kippte sie um. So weit ich verstand, war der Vormieter, den sie verkörperte, unheilbar krank und lag im Hospital. Seine Wiederkehr wurde nicht mehr erwartet, deshalb führte man mit mir ein Gespräch wegen der Übernahme der Wohnung. Ich kannte bis jetzt nur den nüchtern möblierten Raum, in dem wir uns aufhielten. Dunkelgraue Pläne oder Lichtpausen lagen auf einem Zeichentisch beim Panoramafenster. Weil ich vom Rest der Wohnung keine Vorstellung hatte, fragte ich: »Ist sie groß?« Niemand antwortete darauf oder machte Anstalten, mich herumzuführen. Meine Frage hing schräg zwischen uns im Raum, und ich mochte sie nicht wiederholen. Während gleichzeitig auch die Gummipuppe schräg zwischen uns hing und mich aus ihren angedeuteten Augen trübsinnig ansah, rückten die drei älteren Herren, einer mit rötlich-grauem Bart und Brille, immer weiter von mir ab, bis sie am anderen Ende der Liege saßen. Im durch die wachsende Entfernung abnehmenden Licht konnte ich nur noch undeutlich erkennen, was sie taten. Sie schienen Abschied von der Vormieter-Puppe zu nehmen oder ihr eine unangenehme Neuigkeit beizubringen. Wenn ich es mir recht überlegte, sah es aber eher so aus, als schlügen sie auf sie ein. »Was tun Sie da?« rief ich aufrichtig empört. Sie lachten nur und fingen an, die Puppe aufzublasen. Einer von ihnen erklärte mir: »Sie sieht, vermutlich wegen der schweren Krankheit, so flach und stilisiert aus, da wollen wir ihr jetzt lebensechte Züge einhauchen.« »Wie können Sie so etwas tun«, protestierte ich. Schon bildete ich mir ein, es sei der Kranke selbst, der da aufgepustet wurde. Statt natürliche Körperformen, etwa eine richtige Nase, auszuformen, wurde das Gebilde immer ballonartiger und riesiger. »Aufhören!« verlangte ich, aber sie kümmerten sich nicht darum. Wieder und wieder erklangen die hohlen Blasgeräusche. Das enorm aufgetriebene Ding mit dem schwarzen Bart und dem schier endlos dehnbaren Kapuzengewand war drauf und dran, den ganzen Raum zu füllen. Ich bekam Angst davor, es könne im nächsten Augenblick mit einem gesundheitsschädigenden Knall platzen. »Die Luft raus! Sofort!« befahl ich unter Tränen der Wut. Der mir nächstsitzende, nur mit lustvollem Zuschauen beschäftigte Mann wandte sich mir zu. In der Absicht, mich zu beruhigen, machte er alles nur noch schlimmer, indem er wie zu einem Kind sprach: »Sie sehen es ja nur von hinten, und der rückwärtige Anblick hat immer etwas Mißliches. Sie müssen die Sache richtig herum betrachten, nämlich von vorn!« »Aber da ist kein kein Unterschied mehr zwischen vorn und hinten!« schrie ich. »Und was würde dadurch besser an Ihrem schändlichen Tun, wenn es einen gäbe?« Ungerührt pustete der Mann in der Mitte weiter, die beiden anderen lächelten gütig. Da konnte ich mich nicht länger zurückhalten. Ich schlug den Aufblasenden mit solcher Wucht, daß seine Brille aus dem Zimmer flog. Statt durch den Schlag vom Aufblasen abzulassen, blies der Getroffene, lediglich kurz aufstöhnend, weiteren Atem in das pralle Monstrum vor seinem Mund. Jeden Augenblick mußte es bersten. Ich floh aus der Wohnung. Die Welt ging über mich hinweg.
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