Humorkritik | Oktober 2021

Oktober 2021

»Es herrscht, wer heiter ist, denn um traurig zu sein, muss man fühlen.«
Fernando Pessoa

Schweine auf dünnem Eis

Worüber lacht der Luxemburger? Über Tiere – zumindest, wenn man Francis Kirps glauben mag, »Luxemburgs Satiriker Nr. 1« (Verlags-Info). Dessen »Eber im Nebel«, bei Satyr erschienen, klingt aber gar nicht speziell lëtzebuergesch, sondern eher ziemlich vertraut; nämlich auch nicht anders als die herkömmlichen Produkte der deutsch-(sprachig)en Lesebühnen-Bohème: hübsche Einfälle, verpackt in nicht ganz so hübsche Texte; zum Vorlesen gewiss geeignet, zum Nachlesen weniger.

Da sinnieren Schildkröten über die Gefahren des menschlichen Straßenverkehrs, sind aber, ihrer Schildkrötenlogik folgend, zuversichtlich: Sicher gelingt es den einfallsreichen Menschen bald, bessere Autos zu konstruieren, und zwar solche, »die in Schildkrötentempo dahinglitten, und dann wären die schaurigen Unfälle Geschichte«. Da bilden Silberfischchen eine winzige Hochkultur in einer verranzten Seniorenwohnung, genießen »frittierte Hautschuppen« als Snack und führen Krieg gegen das fremde Ungeziefer in der Küche; da finden sich schöne Charakterisierungen (»ein Gesicht wie ein halb verwester Smiley«) und Reportagen nicht ohne Witz (»Der Impfschamane«). Da sagen aber leider nicht nur Menschen, sondern auch Schildkröten »im Endeffekt«; da flattern die »gefiederten Freunde«, da ist man sich »den Folgen seiner Handlung« bewusst; da doppelmoppelt ein »Hexensabbat, der außer Kontrolle gerät«, und Leute weisen »nicht diese gesunde, sportliche Rundheit« auf, »sondern so ein resigniertes Mir-doch-egal-Übergewicht, das längst alle Hoffnung hat fahren lassen«, was selbst dann nicht funktioniert, wenn man übers formulierungsfaule Mir-doch-egal-Bindestrich-Gestopsel hinwegsieht: Übergewicht lässt keine Hoffnung fahren. Und resigniert auch nicht.

Überraschend allerdings, dass Kirps – neben Personal aus den »Buddenbrooks« – auch Freund Henscheids altehrwürdige Invektive »steindumm« ins Buch schmuggelt. Peinlich aber wird es spätestens dann, wenn dem Erzähler des Nachts der »Geist eines Comedians« erscheint. Der kann nur erlöst werden, wenn er endlich einmal einen Lacher produziert, was Kirps zu einem humorkritischen Exkurs veranlasst: »Eine endlose Reihe von Schwiegermutter-, Polizisten-, Arzt- und Blondinenwitzen prasselte auf mich ein, ein zermürbendes Bombardement von ›Frauen sind so, aber Männer sind ganz anders‹-Plattitüden, ein Trommelfeuer von Altherren- und Jungmännerwitzen, die bestimmt schon viele Lachmuskeln strapaziert und Zwerchfelle zum Platzen gebracht hatten. Aber meine Humororgane waren wohl nicht im Training.« Denn merke: Koketterie mit dem eigenen humoristischen Unvermögen kann leicht danebengehen, und Spott über Humorphrasen kann sich nur leisten, wer das eigene Phrasenschwein streng im Zaum zu halten versteht. Oder wenigstens im Nebel.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella