Humorkritik | Oktober 2021
Oktober 2021
»Es herrscht, wer heiter ist, denn um traurig zu sein, muss man fühlen.«
Fernando Pessoa
So nicht erwartet
Manchmal beschert einem das lineare Fernsehen bei Nüsschen und alkoholfreiem Bier auf dem Sofa eben doch noch Momente des Glücks – und so bin ich froh, neulich nach der Tagesschau nicht den Sender gewechselt zu haben, als im Rahmen des sog. ARD-Filmmittwochs »Zur Hölle mit den anderen« (2017) wiederholt wurde. Das Drehbuch dieses Kammerspiels von Nicole Armbruster ist in seiner Anlage gewiss ein bisschen von Yasmina Rezas »Gott des Gemetzels« inspiriert, macht aber ansonsten sein eigenes Ding: Zwei ehemalige Kommilitoninnen treffen sich nach zehn Jahren zufällig wieder, beide haben inzwischen Mann und Kleinkind, und so lädt das eine Ehepaar das andere fürs Wochenende ins luxuriöse Freiburger Haus. Und was dort vom Nachmittag bis zum frühen Morgen so alles passiert und eskaliert, hätte einer wie ich einem deutschen Fernsehfilm gar nicht zugetraut. Die Paare kriegen sich natürlich in die Haare – über Weltanschauung, Familienmodelle, Wohlstand und Kindererziehung – und dürfen dabei so ekelhaft, falsch und niederträchtig sein, wie man es (ich wiederhole mich zur Sicherheit) von einer ARD-Produktion niemals erhoffen würde: Mal werden die Konflikte brutaler, mal entspannen sie sich wieder; mal verbünden sich die Ehepartner, mal die Männer, mal die Frauen – und mal kreuz und quer. Auf die Kinder wird in dieser Zerstörungsorgie angenehm wenig Rücksicht genommen, ihnen wird aber auch keine rührselige Opferrolle zuteil; wie man überhaupt von jeder Moral der Geschicht’ und Läuterung der Protagonisten verschont bleibt. Und das – abermals sei’s baff erwähnt – in einem deutschen Film! Für diese Leistung noch ein Beispiel, bevor ich Sie mit wärmster Empfehlung in die Mediathek des Ersten entlasse: Als sich herausstellt, dass der eine Ehemann, ein herrliches Business-Arschloch, zeitweise an Depressionen leidet, wird’s nicht einfühlsam, sondern gemein; zum hämischen Amüsement der anderen holt seine Frau kindliche Aquarelle aus dem Schrank, die der Gatte in seinen Therapiestunden gemalt hat. Und schließlich, gegen Ende, gibt es noch eine der schönsten Gore-Szenen, die ich in einem deutschen Fernsehfilm jemals … – okay, ich hör schon auf.