Humorkritik | Oktober 2021

Oktober 2021

»Es herrscht, wer heiter ist, denn um traurig zu sein, muss man fühlen.«
Fernando Pessoa

Der Charme von Welt

»Ich geh mit meinen Zeitschriften rüber ins Café Konkret, das nach der Zeitschrift benannt worden ist und wo auch mal Herausgeber Hermann L. Gremliza vorgetragen hat, für immerhin tausend Mark, wie es hieß. Man kann hier lange frühstücken.«

Dass sich bei Wolfgang Welts quasiautomatischer Dauerschreiberei Komik schon aus statistischen Gründen ergibt, habe ich alter Welt-Leser im August vor fünf Jahren, als »der größte Erzähler des Ruhrgebiets« (Willi Winkler) eben gestorben war, bereits vermutet, und auch in seinen zahlreichen kleineren Arbeiten, die jetzt in zwei Bänden im Reiffer Verlag erschienen sind (»Die Pannschüppe«, »Kein Schlaf bis Hammersmith«), ist die Welt Welts, wie Handke lobte, alles, was der Fall ist, und dass es auf den Effekt nicht ankommt, macht den (komischen) Effekt: Über das »immerhin« musste ich wirklich lachen.

Welts Verfahren, das zwischen Unrein- und Reinschrift nicht unterschied, war trotzdem in der Erzählprosa ungleich besser aufgehoben als in der Musik- oder Literaturkritik, denn hinschreiben und stehen lassen ist im Journalismus nicht originell, sondern Journalismus: So kommen bei Welt Scheiben in die Charts und werden Hits gelandet und Bücher vorgelegt. Was der Verlag als »radikal subjektiv« und »immer geradeaus« feiert, wirkt oft wie nicht redigiert, und Welt hat es erklärtermaßen nie getan. Das kann Charme haben, nämlich einen spezifisch ungefilterten, und, sitzt es gleich, eine so schöne Polemik wie die halblegendäre gegen Heinz Rudolf Kunze ergeben: »Er hätte sich lieber darauf konzentrieren sollen, seine schmalen literarischen Erzeugnisse weiterhin von seiner Heimatstadt Osnabrück mit Trostpreisen bedenken zu lassen, als sich uns als ›Niedermacher‹ anzudienen … eine Null. Er selber weiß es am besten.« Aber dass Marius Müller-Westernhagen, dessen Schlüsselsong »Von drüben« gegen die DDR-Liedertante Bettina Wegner gerichtet sei, ein »Stück Scheiße« geschrieben habe, »an Erbärmlichkeit nicht zu übertreffen« und »im Auftrag von Axel Cäsar Springer verfasst«: »Hier hört für mich der Spaß einfach auf. Hoffentlich verliert Müller-Westernhagen bald seine Stimme«, hätte ich Spaßvogel lieber nicht gelesen. Denn wo der Spaß aufhört, fängt doch die Humorkritik erst an.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg