Humorkritik | Oktober 2021

Oktober 2021

»Es herrscht, wer heiter ist, denn um traurig zu sein, muss man fühlen.«
Fernando Pessoa

Komischer Marx

»Wir kommen jetzt zu einem häklichen Punkt. Also aufgepaßt!« Karl Marx, der »hegelianische Begriffsakrobat« (Wolfgang Streeck), weiß, dass er seinen Lesern in seinem dreibändigen Wälzer »Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie« einiges zumutet. Umso mehr bemüht er sich darum, den Text zu salzen und zu pfeffern, um die Leserschaft auch einmal aufzumuntern: Mitunter schillert hier der Witz durch, den Marx-Fans aus dem »Anti-Dühring«, der »Deutschen Ideologie« (beide gemeinsam mit Engels verfasst), v. a. aber aus seinen Briefen kennen. Vieles davon findet sich im Reclam-Bändchen »Marx zum Vergnügen« von Bert Sander, dem es aber hauptsächlich auf schlagkräftige (und nicht unbedingt witzige) Formulierungen ankommt – und das erstaunlich wenig aus dem »Kapital« bringt.

Dieses Hauptwerk Marxens ist bekanntlich eine Polemik gegen die bürgerliche »Vulgärökonomie« und als solche auf Krawall gebürstet. So nennt Marx einen der Säulenheiligen der Ökonomie des 19. Jhs., T. R. Malthus, einen »Meister des Plagiats«, bezichtigt einen anderen Ökonomen eines »anmaßlichen Kretinismus«, nennt einen dritten »fischblütigen Bourgeoisdoktrinär« und attestiert dem Kollegen John Stuart Mill »eine äußerst gelungene Tautologie«. Mit diesen Attacken setzt er den Ton, den linke Schriftsteller wie Karl Kraus, Kurt Tucholsky und Hermann Gremliza sich später zu eigen machten und verfeinerten. Aber Marx kann mehr, als Beleidigungen aus der Hüfte zu schießen. Zugegeben, seine Späße sind oft recht sophisticated; dafür aber ziemlich rewarding, wenn man mitkommt: »Nachdem uns Mill derart klärlich erwiesen, daß die kapitalistische Produktion, selbst wenn sie nicht existierte, dennoch immer existieren würde, ist er nun konsequent genug, zu beweisen, daß sie selbst dann nicht existiert, wenn sie existiert.« Manchmal produziert er sogar Stand-up-taugliche Oneliner: »Bentham ist unter den Philosophen, was Martin Tupper unter den Dichtern. Beide waren nur in England fabrizierbar.« Meist jedoch nimmt Marx etwas mehr Anlauf: »Das bestialische Gebrüll der Grundeigentümer bei Eröffnung des Parlaments von 1866 bewies, daß man nicht Hindu zu sein braucht, um die Kuh Sabala anzubeten, noch Jupiter, um sich in einen Ochsen zu verwandeln.«

Oder aber: »Wenn ich die Courage meines Freundes H. Heine hätte, würde ich Herrn Jeremias (Bentham) ein Genie in der bürgerlichen Dummheit nennen.«

Dünnhäutig ist der »lendenstarke Familienvater« (Marx über Marx) beim Thema Kinderarbeit: Auf Antrieb der Fabrikanten »reduzierte das Unterhaus das Minimalalter der zu verarbeitenden Kinder von 9 Jahren auf 8, zur Sicherung der dem Kapital von Gott und Rechts wegen geschuldeten ›additionellen Fabrikkinderzufuhr‹« – auf dass diese »die warme und reine Moralluft der Fabrikstube« möglichst lange zu atmen bekämen.

Nicht nur wegen Marxens Witz, sondern auch, weil sich darin so kostbare Worte wie »rappelköpfig«, »Zukunftsmusikant« und »Antifabrikphilanthropiefeldzug« (sowie ein paar recht kluge Gedanken) finden, lohnt sich die »Kapital«-Lektüre. Lesen Sie! Staunen Sie!

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg