Humorkritik | Juni 2021

Juni 2021

»Die Ressource Humor liegt in vielen Institutionen und Unternehmen
erfolgreich brach oder bleibt unerlaubt. Das wollen wir ändern!«

Deutsches Institut für Humor

6 aus 49.000.000.000.000

Dass mit Humor nicht nur alles, sondern auch politische Aufklärung besser geht, weiß man spätestens seit der »Anstalt«, wenn nicht seit Dieter Hildebrandts »Scheibenwischer«-Folge von 1982 über den kriminösen Rhein-Main-Donau-Kanal. Ebenso funktioniert das in Buchform und ohne Politik, siehe Simon Borowiaks »Alk«-Buch über die eigene Trunksucht. Oder mit Morbus Parkinson, weil Markus Maria Profitlich, der einstige Sat.1-Comedian der Nullerjahre, überraschend komische Qualitäten entwickelt, dank dieser Erkrankung – wenn die Präposition erlaubt ist.

In seinem Buch »Alles auf den Kopf gestellt« (Lappan) erfährt man vom hübsch benannten »Schwankschwindel« und geht mit dem Autor auf eine Telefonodyssee durch die Krankenkasse, die an Karl Valentins »Buchbinder Wanninger« erinnert; man sieht den Patienten über jene alternative Heilmethode nachdenken, bei der der Wirkstoff so stark verdünnt wird, dass er nicht mehr nachweisbar ist – ein Vorbild auch jenseits der Medizin, für ein »homöopathisches Lotto: 6 aus 49.000.000.000.000« –, und darf über verrückte Nebenwirkungen schmunzeln: »Unter Einfluss eines Parkinson-Medikaments habe ich eingekauft, als gäbe es kein Morgen mehr. Ich habe mir sogar ein Kajütboot zugelegt. Viel zu teuer! Und das, obwohl ich bereits eines besaß!« Selbstironie und schwarzer Humor sind wirksame Arzneien in der Palliativmedizin. Ebenso tröstliche Wirkung hat der Blick auf andere, noch ungewöhnlichere Krankheiten, etwa auf das alberne Eigenbrauer-Syndrom: Wer daran leidet, dessen Körper produziert Alkohol aus jederlei Nahrung, weshalb ein Betroffener womöglich »bei Tisch einen Teller Nudeln ablehnt mit den Worten: ›Danke nein, aber ich muss noch fahren.‹« Noch irrer ist das Pica-Syndrom: Die Betroffenen verspüren »Heißhunger auf völlig ungenießbare Dinge wie Holz oder Seife. Falls Sie also im Bad Seife vermissen, muss nicht jemand bei Ihnen gewesen sein, der unter einem ausgeprägten Sauberkeitsfimmel leidet. Vielleicht hatte derjenige einfach nur ordentlich Kohldampf.«

So wäre denn in Profitlichs Krankenreport alles gut, wenn manches nicht doch schlecht wäre. Insbesondere um Originalität bemühte Vergleiche: Die Sache mit dem Kaufrausch endet damit, »dass dieses Medikament abgesetzt wurde – sonst würde ich heute bis zum Hals in Schulden stecken, hätte dafür aber eine Seeflotte, gegen die die spanische Armada daherkommt wie ein Kinder-Tretboot«. Oder über die Bürokratie: »So hat sich im Laufe der Zeit in meinem Büro ein Berg an Schriftstücken angesammelt, der locker mit dem Umfang der Nationalbibliothek mithalten kann.« Und über die Magnetresonanztomographie: »Eher tanzt ein Ritter Square Dance innerhalb seiner Rüstung, als dass man in dieser Röhre auch nur einen Finger bewegt.«

Ich, der ich immerhin noch meinen Daumen bewegen kann, möchte ihn für dieses Buch doch nach oben recken – alles in allem.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner