Humorkritik | Juni 2021

Juni 2021

»Die Ressource Humor liegt in vielen Institutionen und Unternehmen
erfolgreich brach oder bleibt unerlaubt. Das wollen wir ändern!«

Deutsches Institut für Humor

Konstruktive für Deutschland

Zuerst kam das fanalische #ActOut, dann das infernalische #allesdichtmachen – nein, Schauspieler*innen wissen nicht so genau, was sie wollen. Denen, die sich in einer konzertierten Aktion über die Coronamaßnahmen der Bundesregierung lustig machen wollten, kann man einiges vorwerfen – dass ihre Witze auf Kosten der Coronatoten gehen würden, allerdings nicht. Wer Kritik an der Straßenverkehrsordnung äußert, der tanzt doch damit nicht auf den Gräbern der Verkehrsopfer.

Die Psychologin Tabea Scheel, die an der Universität Flensburg lehrt und ein Buch über »Humor at Work in Teams, Leadership, Negotiations, Learning and Health« (Springer) veröffentlicht hat, weiß hierzu Bescheid: »Aggressiver Humor, zu dem auch Ironie, Sarkasmus und Zynismus gehören, macht andere nieder, damit wir uns selbst besser fühlen«. Das klingt noch verheißungsvoll, aber dann: »Diese Form des Humors enthält nichts Konstruktives«. Stattdessen sollten, so Scheel im Fachorgan Spiegel Psychologie, »Künstlerinnen und Künstler ihren eigenen Alltag mit einem Humor beleuchten …, der nicht auf Kosten anderer geht.« Und zwar beispielsweise in Form von Videos, die »Pflegekräfte auf Intensivstationen oder Busfahrerinnen auf Parkplätzen zeigen, wie sie gemeinsam tanzen. Das ist Humor …« Ja, das ist der Humor auf Volkstanzbasis, der in Deutschland schon einmal angesagt war, als die alte Frage: »Wo bleibt das Positive?« nur eine Antwort zuließ.

Gleich geschaltet und nachgelegt haben, ebenfalls im Spiegel, Eva Ullmann, Gründerin eines »Deutschen Instituts für Humor« in Leipzig, und Michael Ehlers, »der Personen des öffentlichen Lebens wie Top-Manager oder Profi-Sporttrainer in Rhetorik trainiert«. Nach Jahrzehnten der Forschung und Lehre sind sie zu der Unterscheidung gelangt: »In der Wahl der humorvollen Waffen und rhetorischen Stilmittel gibt es Brötchenmesser und scharfe Schwerter.« Gut, ein Duell mit stumpfen Buttermessern auf zwanzig Schritt wäre sicher ganz komisch. Ullmann & Ehlers aber neigen waffenmäßig eher zur rhetorischen Schrotflinte, denn »die sarkastische, ironische, genauer gesagt: die zynische Form der Darstellung « – Moment, was heißt in dem Zusammenhang »genauer gesagt«? Egal: Ironie, Sarkasmus, Zynismus, sie alle bergen »durch eine Vielfalt der Deutungen« die Gefahr, missverstanden zu werden. »Nicht umsonst gibt es das journalistische ungeschriebene Gesetz: keine Ironie im Text, denn die Leserschaft versteht sie oft falsch.« Womit sich Journalismus wohl als vierte komische Gewalt zu den drei oben genannten gesellt.

Ich verstehe diese holprigen Sätze und Gesetze, wenn auch mit einiger Hirnmühe; dass sie vom Spiegel veröffentlicht werden, verstehe ich nicht. Oder vielleicht doch: »Humor kann einfach zwei Dinge kombinieren, die nicht zusammengehören.« Also schlechten Journalismus und schlechtes Expertentum? Mich, immerhin, bringt das zum Lachen: »Mit dem Stilmittel der Inkongruenz kann Humor deeskalierend wirken«, sogar »konstruktiv«: »Hoffnung entsteht durch sozialen Humor, durch Perspektivwechsel, die einfach lustig sind, und nicht beschämen … Sarkasmus und Zynismus machen aber keine Hoffnung, sie erzeugen Distanz …« Das sind hoffnungstriefende Erkenntnisse, die das Leipziger Humorinstitut uns ganz distanzlos vermittelt: »Wir zeigen das in bezaubernden Impulsvorträgen, ergebnisorientierten Beratungen, unterhaltsamen Shows oder dynamischen Trainings.« Humorkritiker müssen da natürlich draußen bleiben.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Katsching, Todd Boehly!

Sie haben sich von Ihrem sauer Errafften den englischen Fußballverein FC Chelsea angelacht, der Titel holen soll, allerdings unter Ihrer Leitung lediglich einen einstelligen Tabellenplatz im nationalen Wettbewerb vorzuweisen hat. Zur Generalüberholung der in der Mittelmäßigkeit versackten Blauhemden sind auf Ihr Geheiß für über eine Milliarde Euro insgesamt 39 Fußballer verpflichtet worden, womit der aktuelle Kader mindestens 44 Spieler umfasst (darunter zehn Torhüter, von denen laut derzeit gültigem Regelwerk leider trotzdem nur einer das Tor hüten darf).

Zu dem über Ihrer Truppe ausgekübelten Spott tragen wir allerdings nicht bei, aus unserem Mund also keine Mutmaßungen über beengte Verhältnisse unter der Dusche oder die vollen Körbe am Trikotwaschtag. Denn selbstverständlich wird ein ausgebufftes Finanzgenie wie Sie, Boehly, seine Gründe haben, viermal elf Freunde mit Verträgen, die zum Teil bis ins nächste Jahrzehnt laufen, auszustatten. Denn wissen wir nicht alle, dass in diesen unsicheren Zeiten das Geld auf der Bank am besten aufgehoben ist?

Guckt eh lieber von der Tribüne aus zu: Titanic

 Huch, Wolodymyr Selenskyj!

Laut Spiegel wollen Sie »überraschend nach Deutschland reisen«. Verständlich, Flugzeug oder Zug werden auf Dauer ja auch langweilig. Interessiert, ob Sie stattdessen einen Tunnel graben, mit einem Zeppelin fliegen oder doch per Faltkanu heranschippern, wünschen Ihnen in jedem Fall eine gute Reise

Ihre Travelguides von Titanic

 Gott sei dank, »Focus«!

Du schreibst: »Fleischkonsum sinkt, Mitarbeiter fehlen. Fachkräftemangel trifft die Wursttheke«. Aber sieh es doch mal positiv, lieber Focus: Es wäre doch viel schlimmer, wenn aufgrund des hohen Fleischkonsums die Mitarbeiter/innen verschwinden würden …

Grüße aus der Fleet Street schickt Titanic

 Priwjet, Roderich Kiesewetter!

Priwjet, Roderich Kiesewetter!

»Die AfD ist nicht besser oder schlechter als das BSW. Beide sind Kinder derselben russischen Mutter«, sagten Sie der FAS.

Da haben wir aber einige Nachfragen: Wer sind denn die Väter? Hitler und Stalin? Oder doch in beiden Fällen Putin? Und wenn BSW und AfD dieselbe Mutter haben: Weshalb ist der Altersunterschied zwischen den beiden so groß? War die Schwangerschaft mit dem BSW etwa eine Risikoschwangerschaft? Und warum sollte es keine Qualitätsunterschiede zwischen den Parteien geben, nur weil sie die gleiche Mutter haben? Vielleicht hat Russland ja sogar ein Lieblingskind? Können Sie da bitte noch mal recherchieren und dann auf uns zurückkommen?

Fragt die Mutter der Satire Titanic

 Tatütata, LKA Niedersachsen!

»Ganz viel Erfolg morgen bei der Prüfung, liebe Karin«, sagt angeblich das gesuchte ehemalige RAF-Mitglied Burkhard Garweg gut gelaunt in einem Video, das bei der Fahndung im Presseportal unter der Rubrik »Blaulicht« veröffentlicht wurde. Die Fahnder/innen erhofften sich dadurch, so heißt es, neue Hinweise, und richten sich deshalb mit den Fragen an die Bevölkerung: »Wer ist ›Karin‹ bzw. ›Carin‹?« und: »In welchem Zusammenhang steht sie zu Burkhard Garweg?«. Schön und gut, da möchten wir nach einem derartigen Cliffhanger nun aber auch die Frage hinzufügen: Wie ist Karins Prüfung denn nun eigentlich gelaufen?

Hinweise an Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Unangenehm

Auch im Darkroom gilt: Der Letzte macht das Licht aus.

Sebastian Maschuw

 Zum Sterben hoffentlich zu dämlich

In der Wartezone der Arge in Fürth sitzen zwei Männer um die vierzig. Einer der beiden hält eine aufgeschlagene Tageszeitung so, dass der zweite mitlesen kann. Geduldig blättern sie gemeinsam bis zur Seite mit den Todesanzeigen. »Schau«, sagt der eine, »da ist einer zwei Mal gestorben.« – »Wie kommst du darauf?« – »Lies doch! Derselbe Name in zwei Anzeigen.« – »Tatsächlich! Zwei Mal gestorben. Wie er das wohl geschafft hat?« Eine längere Denkpause setzt ein. »Wahrscheinlich einer wie ich, der nichts auf Anhieb hinkriegt«, schlussfolgert der eine dann. »Ha, das kommt mir bekannt vor!« stimmt der zweite ein. »Meine erste Frau mit den Kindern abgehauen, Führerschein schon drei Mal gemacht. Also zwei Mal wegen Alkohol, und ich weiß gar nicht, wie oft ich schon hier nach einer neuen Arbeit angestanden bin.« – Seufzend: »Hoffentlich kriegen wir wenigstens das mit dem Sterben mal besser hin als der hier …«

Theobald Fuchs

 Schrödingers Ruhebereich

Wenn es im Abteil so still ist, dass ein Fahrgast einschläft und dann übertrieben laut schnarcht.

Loreen Bauer

 Aus der militärgeschichtlichen Forschung

Feldjäger sind auch nur Sammler.

Daniel Sibbe

 Quo vadis, Fortschritt?

Unfassbar: Nach so vielen Jahren des Horrorfilms gruseln sich die Leute noch vor der Nosferatu-Spinne. Wann taucht in unseren Breiten endlich die Slasher- oder Zombie-Spinne auf?!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
23.10.2024 Karlsruhe, Tollhaus Max Goldt
23.10.2024 Berlin, Walthers Buchladen Katharina Greve
24.10.2024 Stuttgart, Im Wizemann Max Goldt
25.10.2024 Potsdam, Waschhaus-Arena Thomas Gsella