Humorkritik | Dezember 2021

Dezember 2021

»Wenn Sie über etwas einen Witz machen, anstatt ernst zu bleiben, distanzieren Sie sich von dem vorliegenden Problem. Sie treten einen Schritt zurück, und dadurch bekommen Sie eine klare Perspektive auf die Dinge.«
Olivia Remes

Wurm in der Bastille

Nicht alle Filme, die aus Frankreich zu uns gelangen, sind Komödien. Manchmal werden sie nur als solche gehandelt. Der schelmisch betitelte Kostümschinken »À la Carte! Freiheit geht durch den Magen« etwa ist in erster Linie ebendies – Kostüm und Schinken, also leuchtende Kostüme vor bunten Landschaften (die Handlung spielt unmittelbar vor der französischen Revolution) sowie Schinken (und Wachteln und Makronen und Krebse und fromage und überhaupt alles, was der Mund begehrt – hungrig sollte man da nicht ins Kino gehen). Lachen musste ich eigentlich nur einmal: Als der Schlosskoch Manceron seinem Herzog und dessen Gästen bei einer Schlemmorgie auch eine kleine Pastete serviert, die für den französischen Originalfilmtitel Pate stehende »Délicieux«. Diese nämlich ist, quel choc, mit Kartoffeln gefüllt: »Diese Knollen? Diese Tuberkel?« ekeln sich die Gäste. »Die sollen Lepra übertragen! Wofür halten Sie uns? Für Deutsche?« Denn, so der Stand der Küchenforschung anno 1789: »Unter der Erde wächst nichts Edles. Trüffel und Kartoffeln, das ist für die Schweine!«

Es sind historische Wissensvorsprünge wie dieser, aus denen man als Zuseher die (seltenen) komischen Funken schlägt. Der Rest ist rasch erzählt: Manceron wird entlassen und zieht mit seinem revolutionsbegeisterten Sohn zurück auf den einsamen Posthof, von dem er stammt; zusammen mit der geheimnisvollen Louise, die eines Tages aus der Postkutsche steigt und unbedingt eine Lehre bei ihm machen will, verwandelt er das alte Gebäude in ein Restaurant, um nicht mehr von einem einzelnen Aristokraten abhängig zu sein. Währenddessen keimt in Paris die Revolution, der Herzog verschleißt grimmig Koch um Koch und sehnt sich nach den Künsten Mancerons zurück, und es zeigt sich, dass auch Louise mit dem Adeligen noch ein poule au pot zu rupfen hat.

Bedenkt man die Zeit, in der der Film spielt, dann fällt seine seltsame Versöhnlichkeit auf. Klassengegensätze werden eher spielerisch behandelt, Aristokraten sind zwar abzulehnen, aber nur, wenn sie sich persönlich eines Verbrechens schuldig gemacht haben. Ansonsten schwelgt Regisseur Éric Besnard in Landschaftsaufnahmen und schmackhaften Stillleben, andauernd werden Granatäpfel betastet, Kaninchen gehäutet und Teige gewalkt, und die Probleme des Feudalismus stellen sich v.a. als solche einer übertriebenen Dekadenz dar, denen man mit einer gesunden Portion Kleingartenmentalität und Globalisierungskritik avant la lettre zu Leibe rückt: »Ich habe die exotischen Genüsse so satt«, klagt Manceron. »Zimt, Safran ... ich will das, was bei uns im Garten wächst: Schalotten, Knoblauch, Estragon!« Am Ende bekommt der Herzog eine kleine Strafe, die Kamera fliegt hoch wie eine Montgolfière, um uns das wunderschön friedliche Frankreich zu zeigen, und würde nicht eine Einblendung darauf hinweisen, dass in den nächsten Tagen die Bastille erstürmt wird, man könnte meinen, alle gesellschaftlichen Gegensätze des Ancien Régime ließen sich unter einem schönen pot-au-feu begraben und vergessen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner