Humorkritik | Dezember 2021
Dezember 2021
»Wenn Sie über etwas einen Witz machen, anstatt ernst zu bleiben, distanzieren Sie sich von dem vorliegenden Problem. Sie treten einen Schritt zurück, und dadurch bekommen Sie eine klare Perspektive auf die Dinge.«
Olivia Remes
Leiche im Müll
Anfang März 2020 starb die Schauspielerin und Kostümbildnerin Tabea Blumenschein. In den Siebzigern und Achtzigern ein Star der Berliner Avantgarde- und Untergrundszene, spielte sie in Filmen von Ulrike Ottinger und Werner Nekes Hauptrollen, entwarf für Claudia Skoda und Andy Warhol Kleider und war Teil des Künstlerkollektivs »Die tödliche Doris«. Nach der Wiedervereinigung verschwand sie aus der Öffentlichkeit, lebte eine Zeit lang gar in einem Obdachlosenheim und danach bis zu ihrem Lebensende in einem Plattenbau in Berlin-Marzahn. Hier wurde sie im August 2018 vom Mitbegründer der »Tödlichen Doris«, Wolfgang Müller, interviewt, der damals nicht ahnte, dass es Blumenscheins letztes Interview sein würde.
Das lange Gespräch ist nunmehr in limitierter Auflage im rührigen Hybriden Verlag erschienen. Und trotz des traurigen Anlasses musste ich bei seiner Lektüre immer wieder sehr lachen. Der Grund dafür ist, dass Blumenschein den ganzen Kunstbetrieb nicht sonderlich ernst nimmt und auch mit einer nachträglichen Sakral- und Musealisierung ihrer eigenen Rolle nichts anfangen kann. Über einige Super-8-Filme, die sie gedreht hat, sagt sie: »Ach, das habe ich nur so nebenbei gemacht. Ich weiß gar nicht, was da in den Filmen los war.« Lustig auch, was ihr bei einem Besuch bei Andy Warhol auffällt: »Und da hingen echte Warhols bei diesem Warhol«; oder weshalb sie eine Einladung bei Patricia Highsmith, mit der sie enger befreundet war, in Venedig ausschlägt: »Ich kann nicht bei der alten Frau sitzen, neben der Schreibmaschine mit zwanzig Katzen und schauen … Ich musste arbeiten, damit ich meine Wohnung zahlen kann.«
Konventionen, wie man sich über Kunst und letzte Dinge zu unterhalten hat, ignoriert sie und bevorzugt stattdessen Understatement. Meine Lieblingsstelle findet sich gleich zu Beginn des Interviews: »Ja, die Seele wird auf Erden verkörperlicht, wenn man geboren wird. Bis sie beim Tod wieder geht. Solange muss man die Welt aushalten. Und ertragen oder genießen oder … Je nachdem. (Pause) Schau mal. Die ganze Wäsche, die habe ich gestern neu gewaschen. Muss man mal machen. Kann man ja heute machen, wenn du kommst. Nicht, dass man am Schluss zusammenklappt mit Herzinfarkt. Und wenn die dann reinkommen, um die Leiche zu holen, dann liegt hier so ein Müll herum.« Schöner lassen sich Singularität und Banalität unseres Daseins wohl kaum in einem Absatz zusammenfassen.
»Ein letztes Interview« ist auf 100 Exemplare limitiert. Ein beiliegendes Foto der »Tödlichen Doris« ist von Wolfgang Müller nummeriert und signiert, beigefügt sind außerdem der Reprint einer Zeichnung und zwei CDs mit einem Radiobeitrag von Chris Dreier und Wolfgang Müller, in dem man auch Tabea Blumenscheins schöne Kinderstimme zu hören bekommt. Hundert Euro, so meine ich, kann man für solch ein rares Werk durchaus hinlegen.