Humorkritik | Dezember 2021
Dezember 2021
»Wenn Sie über etwas einen Witz machen, anstatt ernst zu bleiben, distanzieren Sie sich von dem vorliegenden Problem. Sie treten einen Schritt zurück, und dadurch bekommen Sie eine klare Perspektive auf die Dinge.«
Olivia Remes
Vom Wert der Witze
Es ist ja immer schön, wenn’s was zu lachen gibt, und eines aktuellen Anlasses bedarf es dabei nicht. Ich habe also nur kurz gegrübelt, was den ostdeutschen Kabarett-Doyen Bernd-Lutz Lange bewogen haben mag, just jetzt unter dem Titel »Freie Spitzen« »politische Witze und Erinnerungen aus den Jahren des Ostblocks« (Aufbau) zu veröffentlichen. Angesichts seines Jahrgangs (1944) hätte ich natürlich Verständnis dafür, wenn Lange die angesprochenen Erinnerungen hinterlassen wollte; allerdings kommt ihnen in seinem Buch eher die Funktion moderierender Randbemerkungen zu, um den Kontext der Witze herzustellen – und zwar einen mitunter etwas fragwürdigen Kontext. Man muss sich durch allerlei Merkwürdigkeiten arbeiten: Fehler wie den Filmtitel »Die Legende von Paula und Paul«, diskutable Thesen wie jene, politische Witze seien recht eigentlich »philosophische Miniaturen, die dem Wert einer Anekdote oder eines Aphorismus ebenbürtig sind« (worin bestünde der denn, und worin der angeblich mindere von Witzen?), oder die, derzufolge diese Witze »ihren Beitrag zum Sturz des Systems geleistet haben«; ganz zu schweigen von dem haarsträubenden Satz, Hitler habe »durch seinen verbrecherischen Krieg die Ausbreitung des Bolschewismus in Europa erst ermöglicht«. Bis hin zu arithmetischen Kuriositäten, wenn Lange über den Gulag schreibt: »Mehr als 2,7 Millionen starben dort oder in der Verbannung. So steht es bei Wikipedia. Anne Applebaum zählt in ihrem monumentalen Werk ›Der Gulag‹ noch sechs Millionen Verbannte nationaler Minderheiten dazu. Sie kommt deshalb auf viereinhalb Millionen Opfer.« 2,7 + 6 = 4,5? Es ist halt alles ein bisschen leger und ungenau dahingeplaudert.
Und natürlich streng antikommunistisch. Womit ich endlich zu den politischen Pointen komme: »Was ist ein Kommunist? Ein Kommunist ist ein Mensch, der die Hoffnung aufgegeben hat, jemals noch Kapitalist zu werden.« Das ist so unsinnig wie unkomisch.
Aber überraschenderweise gibt es auch eine ganze Reihe von Witzen, die gut sind und, worauf es ja ankommt, gut erzählt. Zum Beispiel dieser, der zur Zeit der Kollektivierung der Landwirtschaft in der UdSSR spielt: »›Iwan Iwanowitsch, bist du bereit, deine Kühe an den Kolchos abzugeben?‹ – ›Ja, ich bin bereit.‹ – ›Und die Pferde?‹ – ›Ja.‹ – ›Und die Ziegen?‹ – ›Nein, die Ziegen nicht.‹ – ›Aber warum? Du gibst die Kühe und die Pferde, aber wieso nicht die Ziegen?‹ – ›Ich hab nur Ziegen.‹« Und ich hab gelacht.