Humorkritik | April 2020

April 2020

Ich ergriff das Omen, und wir schieden im besten Humor, in der Hoffnung eines baldigen Wiedersehns.
Goethe, Italienische Reise

Gestorben und vergessen?

Totsein ist kein Qualitätsmerkmal, die Formel »Gestorben und vergessen« trifft auf viele Literaten rechtens zu. Auf manche aber unrechtens, so auf den 1969 mit knapp 80 Jahren gestorbenen Satiriker, Parodisten, Nonsensautor, Humoristen, Sprachkritiker, Literaturkritiker, Musikkritiker und was noch alles Hans Reimann. Allerdings: So vergessen er ist, ganz übersehen wird er nicht – wer kennt nicht »Die Feuerzangenbowle«? Das Romänchen, das der Verfilmung zugrundeliegt, wird zwar Heinrich Spoerl zugeschrieben, dessen Name solo auf dem Buchdeckel des jetzt in 106. Auflage (und erstmals wieder in der Originalfassung) erschienenen Werkes prangt; aber nicht er, sondern Hans Pfeiffer, pardon: Hans Reimann war es, der sich 1931 in bester Undercovermanier in das Gymnasium im schlesischen Neusalz a. d. Oder einschlich: »Ich mimte einen Herrn von mittleren Jahren, welcher das Abitur nachholen will«, und »bekam im Hintergrund ein Bänkchen für mich, frischte Erinnerungen auf, lernte etliches hinzu und formte einen Roman, den ich daheim binnen drei Wochen zu Papier brachte«, so Reimann in seinen Memoiren »Mein blaues Wunder«. Dann erst sei Spoerl zum Zug gekommen, »milderte allzu krasse Stellen, erfand einen netten Vorspann«.

Das freilich, beider Briefwechsel und das von Stefan Born verfasste Nachwort der Neuausgabe belegen es, redet Spoerls großen Anteil klein. Egal: Abgerechnet wird zum Schluss, und da machte der Droste-Verlag beim Honorar seit je halbe-halbe. Dass übrigens Heinz Rühmann in der Verfilmung von 1944 Hans Reimann heftig ähnelt, wird eine Referenz gewesen sein an den Leipziger Obersekundaner Reimann, der 1907 »wegen groben Unfugs innerhalb des Schulhauses« vom Gymnasium geflogen war.

Seinen Namen nennt der Film sowenig wie das 1933 erschienene Buch, aus gutem bzw. bösem Grund. Zwar blieb Reimanns 1931 angekündigte satirische Hitler-Biografie »Mein Krampf« nach Morddrohungen ungeschrieben, aber der Autor blieb verdächtig, durfte allenfalls harmlosen Stuss verfassen, biederte sich aus Angst, Geldnot, Naivität, ja Doofheit aber auch bei Naziblättern an. Schlimmer: Für »Velhagen & Klasings Monatshefte« lieferte er Ende 1944 den Artikel »Jüdischer Witz unter der Lupe« ab, der mit dem Satz endete: »Diese Ware, von der sie [die Juden] ein reich assortiertes Lager besitzen, wird sie zugrunde richten. Denn wer seinen Witz dazu mißbraucht, nichts ernst zu nehmen und alles zu verneinen, schaufelt sein eigenes Grab.«

Dafür erlebte Reimann nach ’45 zu Recht sein »Blaues Wunder« (Autobiographie), wurde von Kollegen geschnitten und von Verlagen ignoriert. Und verfiel darauf, die »Literazzia« zu gründen, in der er von 1952 bis 1968 ganz allein die Bücherproduktion eines Jahres durchkaute. Seine Glanzzeit hatte er da längst hinter sich, die 1920er Jahre. Wer’s nachprüfen will, muss bloß eine gute Universitätsbibliothek finden: Er entdeckt unter Reimanns Grotesken, Humoresken, Satiren, Parodien und Nonsenssächelchen einige Meisterstücke der deutschen Literatur.

Ich nenne jetzt nur »Das Telephongespräch« und »Das kleine Einmaleins« und »Habebald in der Nacht« und das »Lesestück« (mit dem ersten Satz: »Das Meer erglänzte weit hinaus«) – ach, lesen Sie doch selbst! Sie werden Ihrem Mentz zustimmen: Hätte es Hans Reimann nicht gegeben, wer weiß, worüber man heute lachen müsste.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg