Humorkritik | April 2020
April 2020
Ich ergriff das Omen, und wir schieden im besten Humor, in der Hoffnung eines baldigen Wiedersehns.
Goethe, Italienische Reise
Koordinierter Schwachsinn
Seit einigen Jahren erfreue ich mich an einem hübschen Videospieltrend: an albernen Simulations-Games. Das Konzept all der möglichst lebensnahen und (für mich unbegreiflich) erfolgreichen Landmaschinen-, Truck-, Bus- und sonstigen Simulationen wird dahingehend weitergesponnen, einfach alles, was es im echten Leben gibt, auf PC oder Konsole nachspielbar zu machen.
Angefangen hat es meiner Erinnerung nach 2008 mit »QWOP«: Darin steuert man einen 100-Meter-Läufer – genauer: dessen Beine – mit den Tasten Q, W, O und P, was zum einen so lächerlich wie in keinem gewöhnlichen Sportspiel ausschaut, zum anderen anspruchsvoll bis zur Frustrationsgrenze ist. Die zu lenkenden Figuren bzw. Körperteile in Spielen wie diesen unterliegen der Ragdoll-Physik, sind also leblos und werden erst durch die Eingabe des Spielers zum (realistischen) Zappeln gebracht. Mehr als zwei Beine übernimmt man in »Octodad« (2010), um einen als Mensch getarnten Oktopus durch das Haus seiner menschlichen Familie zu navigieren. Im 2013 erschienenen »Surgeon Simulator« – eine Fortsetzung soll noch dieses Jahr kommen – führen wir via A, W, E und R die Hände eines Chirurgen und vollziehen in cartoonhaftes Gemetzel ausartende Operationen, zum Beispiel eine Herztransplantation bei Donald Trump. Fast schon bodenständig nimmt sich da der »Cooking Simulator« von 2019 aus, bei welchem man – Sie ahnen es – alle denkbaren Kochzutaten greift, schüttelt, wirft, wendet und verarbeitet. Wer nicht in die Haut von Personen oder humanoiden Kraken schlüpfen will, versetzt sich wahlweise in eine Biene, einen Wolf, einen Bären, eine Ziege oder – eine Schreibe Toastbrot (»I am Bread«, 2015).
Es geht noch absurder: »Soda Drinker Pro« (2016) stellt uns vor die banale Aufgabe, einen Becher Limonade in verschiedenen Umgebungen zu leeren, unter anderem im Weltall. Und im »Speaking Simulator«, einer digitalen Weiterdenkung von Wolfgang v. Kempelens Sprechmaschine, kontrolliert man das Kopfinnere eines Androiden, um menschliche Sprache zu erzeugen, wobei Fehler einem schon mal einen Zahn kosten. Der jüngst veröffentlichte »Walking Simulator« ist zwar weniger fordernd, lässt den Protagonisten aber auch mehr tun, als der Titel suggeriert; neben Laufen (Taste W gedrückt halten) ist auch Rennen, Stürzen und Fliegen per Jetpack gestattet. Das totale Chaos verspricht der für Juli angekündigte »Totally Accurate Battle Simulator«, in dem wir gleich eine ganze Ragdoll-Armee gegen eine andere kämpfen lassen.
Dass solche Meta-Games keine Nischenprodukte mehr sind, hat zur Folge, dass man unzählige »Let’s Plays« auf Youtube genießen kann. Moderne technische Möglichkeiten für maximalen Quatsch ausloten: Raten Sie mal, wem das gefällt.