Humorkritik | Dezember 2018

Dezember 2018

Wir lachen, weil wir glauben, dass es ein Witz ist.
Fiston Mwanza Mujila, »Zu der Zeit der Königinmutter«

Ungebumst und unbewusst

Ein Siebzehnjähriger aus einem Dorf am Attersee, in dem genau eine einzige Ziege ihr Dasein fristet, muss nach Wien ziehen, weil der Liebhaber seiner Mutter nach einem bei Gewitter stattgehabten Geschlechtsverkehr in den nahegelegenen See springt und dort vom Blitz umgebracht wird. In Wien fängt der Siebzehnjährige als Gehilfe bei einem Tabak-Trafikanten an, mit dem die Mutter früher auch einmal etwas hatte (Geschlechtsverkehr), und läuft gleich bei der Ankunft dem greisen Sigmund Freud vor die Füße, der Stammkunde im Laden ist. Wirrer habe ich selten einen Film beginnen sehen als »Der Trafikant«, basierend auf dem gleichnamigen Bahnhofsbuchhandlungsbestseller von Robert Seethaler.

Bald freundet sich der junge Franz mit dem alten Freud (Vater!) an (»Darf ich mal auf Ihre Couch, Herr Professor?«) und bekommt im Gegenzug einmal gründlich die Frauen erklärt: »Man muss das Wasser nicht verstehen, um hineinzuspringen.« Obwohl gerade das Wasser doch dem Mutterbeglücker aus der Eingangsszene zum Verhängnis … na ja, wir wollen mal nicht zu genau sein, schließlich geht es hier um Gefühle: Ein Trafikant verkauft »Genuss«, »Lust«, also »zärtliche Magazine«, durch welche der Bub, nachdem ihn seine böhmische Jahrmarktsbekannte mit einer Erektion in der Gasse hat stehenlassen, erstmals seine Sexualität in den See springen lässt. Später findet der Junge dann doch noch zur Böhmin (»Hol dir das Mädchen zurück oder vergiss sie!«), weil er artig seine Träume notiert und Karten an die Mama daheim schreibt. Aber iest das alles niecht so laicht, und Böhmin arm und tanzt nackt fier Geld. »Weißt du, mit den Frauen ist es wie mit den Zigarren! Wenn man zu fest an ihnen zieht, verweigern sie den Genuss«, erklärt Freud, und man sieht, Szenenwechsel, die Mutter beim Geschlechtsverkehr. Zum Glück muss man diesen großen Schwachsinn nicht noch irgendwie ödipal-orgiastisch enden sehen, denn pünktlich marschieren die Nazis um die Ecke und benehmen sich so richtig schön antierotisch. Der alte Doktor, der dicken Frauen rät, weniger Torte und mehr körperliche Zuneigung zu genießen, kommt immer schwerer an seine geliebten Zigarren und emigriert schließlich – nicht ohne seinem Ziehsohn am letzten Tag noch eine anzuzünden (und genüsslich daran zu ziehen; ganz Ziehvater). Bruno Ganz, über den ich schon in seiner Rolle als Hitler herzlich lachen konnte, findet hier zu seiner grotesken Vollendung (»Meine Libido ist längst überwunden!«).

Den pubertierenden Jungen hingegen machen die Braunhemden endlich zu dem Mann, der er immer sein wollte: Er ohrfeigt den Denunzianten-Nachbarn und hängt – Widerstand! – seine Traumprotokolle an die Tür des Ladens, als der Chef schon ermordet worden ist. Die schöne Böhmin gesellt sich aber, natürlich, zum Nazi. Wie hatte Freud gesagt: »Die Liebe ist immer ein Irrtum.« Zum Abschluss, bevor auch er abgeholt wird, fummelt Franz noch ein letztes Mal an den Havanna-Zigarren herum, die der Trafikant ihm vermacht hat: »Von schönen Frauen in zarter Handarbeit auf dem Oberschenkel gerollt«, heißt es auf dem Etikett. Wie dieser ganze Film, vermutlich.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella