Humorkritik | Dezember 2018

Dezember 2018

Wir lachen, weil wir glauben, dass es ein Witz ist.
Fiston Mwanza Mujila, »Zu der Zeit der Königinmutter«

Polak / Böhmermann

Oliver Polak hat im Laufe seiner Bühnenkarriere immer wieder Judenwitze erzählt. Jan Böhmermann hat während einer Show, bei der auch Polak auftrat, nach dem Händedruck mit dem Juden Polak ein Desinfektionsmittel benutzt. Als wohlmeinender Mensch vermute ich, dass es beiden nicht darum ging, Antisemitismus zu befördern oder sich über die Opfer des Holocaust lustig zu machen, sondern Antisemitismus durch Verwitzelung erträglicher werden zu lassen. Dafür mag Polak besser geeignet sein als Böhmermann; aber eben auch nur, wenn man seine Bühnenfigur mit seinem »realen« Judentum gleichsetzt. Sein erster Programmtitel »Ich darf das, ich bin Jude« spielte mit ebendieser Frage: Darf der das? Darf er das, weil? Dürfte er es nicht, wenn? Es liegt auf der Hand, dass ein nichtjüdischer Zuschauer Polaks Bühnenwitze nicht einfach kontextlos hätte weitererzählen können, ohne für einen Antisemiten gehalten zu werden.

Nun ist der Comedian Polak aus seiner Rolle getreten und hat all den Antisemitismus, gespielt oder nicht, und die Judenwitzeleien, die er während seiner Auftritte und davor nicht nur mit Böhmermann erlebt hat, in aller Ernsthaftigkeit dokumentiert. Dass jemand, der seine Diskriminierung selbst komisch verarbeitet, am Ende nicht gereinigt und erlöst daraus hervortreten muss, sondern Erniedrigung und Beleidigung weiter mit sich schleppt, wurde hierorts bereits anhand des Beispieles Hannah Gadsby erörtert; dies trifft wohl noch stärker zu, wenn die Verarbeitung von anderen übernommen, fröhlich weitergetrieben und somit satirisch, also von der individuellen Erfahrung auf die Ebene gesellschaftlich-moralischer Verhandlung gehoben wird. Wie gut gemeint auch immer: Es ist die nie auflösbare Doppelrolle der Satire, dass sie in ihrer Imitation des Schrecklichen dieses Schreckliche einerseits bannen will, andererseits fortschreibt. Ein satirisch geäußertes Ressentiment kann aufklärend wirken – und zugleich dem Antisemiten Zucker geben.

Aus strikt satirischer Perspektive ist es übrigens egal, wer das Ressentiment vorbringt. Im Zweifel mag einem überzeugten Antisemiten der sich scheinbar antisemitisch äußernde Jude sogar lieber sein, weil dieser die Haltung des Antisemiten legitimiert. Dass Witze heute viel weniger danach beurteilt werden, wie gut und stimmig sie sind, als danach, wer sie reißt, zeigt, dass wir in Zeiten hart umkämpfter Identitäten leben. Wo sich aber auf Identität fixiertes Denken und satirische Ambivalenz ins Gehege kommen, wird es unübersichtlich.

Der Comedian Böhmermann hat sich ein Beispiel genommen am Comedian Polak und Judenwitze gemacht, ohne über dessen Lebensgeschichte und Lebenserfahrungen zu verfügen. Hätte er sie gebraucht? Genügt es nicht, dass er Satiriker ist? Künstler letztlich, der sich fremde Rollen und Welten aneignen darf, wie er will? Allzu leicht sollte er es sich nicht machen: Böhmermann, der Polak über dessen »Unique Selling Point« Judentum belehrt, mag sich für ideologiefrei halten – und ist doch nichts als zynisch: Vertreter einer unhinterfragten Marktlogik, in der jeder auf seine (diesfalls: komische) Identität und deren Verwertbarkeit abgeklopft wird. Polak hat allerdings Böhmermanns Spiel mitgespielt. Letztlich gehören sie beide derselben Welt an, auch wenn der eine, weil er keine Diskriminierung erfahren musste, ein bisschen weniger zum Nachdenken gezwungen ist.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
18.04.2024 Berlin, Heimathafen Neukölln Max Goldt
18.04.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt