Humorkritik | August 2018
August 2018
»Beim Abendessen gerieten selbst die faulsten Zungen ins Schwätzen. Da wurde von allem und jedem geredet, wer sich neue Hosen hatte machen lassen und wie es im Innern der Erde aussehe und wer einen Wolf erblickt hatte; hier gab’s auch eine Menge Witzbolde, an denen ja unter den Kleinrussen kein Mangel ist.«
Nikolai Gogol, »Der Wij«
Genasführter Nazi
In seinem geheimen, jetzt von Sven Hanuschek herausgegebenen Kriegstagebuch (»Das Blaue Buch«, Atrium Verlag) hat Erich Kästner im Januar 1941 notiert, wie es dem Reichsjugendführer Baldur von Schirach erging, als er vor den Arbeitern einer Fabrik im Wiener Gemeindebezirk Floridsdorf eine Rede halten wollte: »Sie übertrieben ihre Begeisterung ins Ironische so, dass sie zwei Stunden lang ohne Pause die Lieder der Bewegung sangen und in Siegheilrufe ausbrachen, so dass Baldur, nachdem er zwei Stunden lang auf dem Rednerpodium abgewartet hatte, endlich wieder nach Hause fuhr, ohne auch nur ein Wort gesprochen zu haben.«
Sabotage durch frenetische Zustimmung: eine geniale Strategie. Es zieht mich wahrlich nichts zurück ins Dritte Reich, doch bei dieser antifaschistischen faschistischen Kundgebung hätte ich gern einmal fünf Minuten lang Mäuschen gespielt, den Arbeitern zugehört und den Gesichtsausdruck des Reichsjugendführers auf mich wirken lassen, selbst auf die Gefahr hin, vor Lachen zu platzen und meine Mäuseexistenz preiszugeben. Hoch sollen sie leben, die subversiven Siegheilrufer!