Humorkritik | Dezember 2016

Dezember 2016

»… ob nicht alle Satire bis zu einem gewissen Grad die stillschweigende Billigung des Gegenstandes beinhaltet, auf den sie abzielt. Ist nicht Orwells eigenes Buch 1984 in dem Land, das weltweit über die meisten Überwachungskameras pro Einwohner verfügt, fast zu einem offiziellen Text geworden? Und außerhalb von England staunte der österreichische Autor Thomas Bernhard, ebenfalls ein grimmiger Kritiker seines Landes, darüber, wie gierig die Leute seine Kritik aufsogen und wie laut sie ihm dafür applaudierten, daß er sie beschimpfte.«
Tim Parks

Von Gimpeln und Hirschen

In der Zeit hat Jens Jessen Frank Schulz mit dem Etikett »Heimat- und Heimatkrimi-Schrifsteller« versehen. Sein neuer Roman »Onno Viets und der weiße Hirsch« (Galiani Berlin) sei nicht allein »außerordentlich langweilig«, sondern überdies »ein schlimmer Heimat- und Einfache-Leute-Kitsch«, der »eine Nostalgie nach dem Echten und Altdeutschen« bediene, zumal die der »Frankfurter und Berliner Asphaltkritiker« bzw. »Frank-Schulz-Lobredner«, zu denen ich bekanntlich gehöre und die von Jessen als »Gimpel« belobigt werden.

Da freu’ ich mich; und ich will dem Jessen aber sagen, daß Kitsch stets in der Form und nicht im Stoff wohnt. Läßt Schulz einen viertel Kriminalfall sich zwischen Dorf und Wald zu einer launigen bis fesselnden, jedenfalls sehr deutschen Vergangenheitsbewältigung auswachsen (Krieg, Vertreibung, RAF), dann jucken mir zwar die Stirnfalten, weil ich gelernt habe, diese spezifisch deutschen Diskurse zu fürchten; aber dieses Barock! Wenn nämlich – das portugiesische »barroco« bezeichnet unregelmäßige, schiefe Perlen – Rumpelwörter wie »aufgrund« oder »nichtsdestotrotz« und staubige wie »anno« oder »mitnichten« mit frappanter Metaphorik, aufmerksamster Geländezeichnung und den Ergebnissen lustvollen Grabens in Wortschatz, Dia- und Soziolekt (hier: Jägerlatein) ins Benehmen geraten und sich, mit dem Gimpelkollegen Frank Schäfer zu seufzen, Kitsch und Kunst versöhnen. Was ja eigentlich gar nicht geht.

So auf der Kante zu schreiben erfordert allerdings höchste Konzentration, und mitunter kam mir der »Weiße Hirsch«, im übrigen weniger Heimat- denn Familienroman, ein wenig fahrig vor. So kann Held Onno nicht radfahren, »und es in dieser Situation zu erlernen, hielt er für unbotmäßig« – ob das noch hübsch unbotmäßig ist oder überschießender Wille zur Sprachmacht, schwer zu sagen. Leichter zu sagen, daß ein doppeltes »mitnichten« so ins Auge hüpft wie ein wiederholtes schlichtes »nicht« nicht; und ist ständig vom »Trauma« aus heimatvertriebener Kindheit die Rede, dann wirkt das irgendwann doch noch wie Politik. Auf diesem Niveau muß ein Lektorat das Gras wachsen hören, und als Fan hoffe ich, der Verlag spare hier nicht ausgerechnet deshalb, weil Heimatonkel Schulz sowieso, »tjorp« (Onno Viets), ein As ist. Und das sage ich als Asphaltkritiker, Frankfurt.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Die Bunte zitiert Sie mit der Aussage: »Um zu überleben, muss man gesund sein, und wenn man am gesündesten ist, sieht man einfach auch am jüngsten aus!« Gut, dass Sie diese Erkenntnis an uns weitergeben!

Geht jetzt zur Sicherheit bei jeder neuen Falte, Cellulitedelle und grauen Strähne zum Arzt:

Ihre greise Redaktion der Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner