Humorkritik | Dezember 2016
Dezember 2016
»… ob nicht alle Satire bis zu einem gewissen Grad die stillschweigende Billigung des Gegenstandes beinhaltet, auf den sie abzielt. Ist nicht Orwells eigenes Buch 1984 in dem Land, das weltweit über die meisten Überwachungskameras pro Einwohner verfügt, fast zu einem offiziellen Text geworden? Und außerhalb von England staunte der österreichische Autor Thomas Bernhard, ebenfalls ein grimmiger Kritiker seines Landes, darüber, wie gierig die Leute seine Kritik aufsogen und wie laut sie ihm dafür applaudierten, daß er sie beschimpfte.«
Tim Parks
Ein Jux mit Autohupen
Da ich nun zu den wenigen Lebenden gehöre – es dürfte sich höchstens um eintausend handeln –, die Franz Lehárs Operette »Die Juxheirat« in voller Länge zur Kenntnis genommen haben, will ich auch Zeugnis ablegen davon, wie das Werk beim heurigen Lehár-Festival in Bad Ischl zweimal aufgeführt worden ist. Daß Überlebende der Uraufführung aus dem Jahre 1904 die Anzahl der Kenner vergrößern, schließe ich aus. Der Erfolg war damals gering, nach 1905 wurde das Werk nie mehr aufgeführt, denn Lehár hatte da bereits »Die lustige Witwe« nachgelegt, die bis heute gleich nach der »Fledermaus« von Johann Strauß zu den meistgespielten Operetten der Welt zählt.
In beiden Lehár-Werken geht es um Geld und gemischte Gefühle. »Die Juxheirat« streift außerdem noch die Themenkomplexe Automobilrennen, Frauenemanzipation und Maniküre. Die Geschichte ist in Amerika angesiedelt, auf den Gütern eines Automobilfabrikanten. Seine verwitwete Tochter findet sich mit vier weiteren jungen Damen zu einem zölibatären Bund zusammen, dessen Motto »LVM« = »Los vom Mann!« natürlich nur so lange gilt, wie der Richtige noch nicht dahergekommen ist. All die folgenden Ehen zu stiften kostet Zeit und hält doch eigentlich nur auf, da helfen auch dramaturgische Tricks wie etwa Zeitsprünge und die Verlegung wichtiger Vorgänge ins Off nur wenig. Immerhin erinnert sich der Librettist Julius Bauer an den ursprünglich frivol-subversiven Ansatz der Operette: Also wird Wagner parodiert, Nestroy zitiert, und der joviale Zynismus des »armen Milliardärs« gipfelt in der Drohung, im Falle einer Heiratsverweigerung werde er stiftengehen bzw. »gnadenlos wohltätig« werden und der unbotmäßigen Erbin nur ein paar lumpige Millionen hinterlassen.
Lehárs Musik sorgt mit gut dreißig Nummern für viel Abwechslung: Walzer, Polka, Marsch und Galopp werden gestrichen, geblasen und mit Autohupen angereichert. Als Fingerübung vor der »Lustigen Witwe« kann sich das immer noch hören und sehen lassen – vielen erfolgreichen Musicals von, sagen wir, Andrew Lloyd Webber ist »Die Juxheirat« um Klänge voraus. Und da die Ischler Inszenierung auf Tonträger gebannt wurde, gehe ich davon aus, daß sich die Lehár-Freunde unter meinen Lesern von ihren Qualitäten bald selbst einen Eindruck werden machen können.
Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut.