Humorkritik | Dezember 2016
Dezember 2016
»… ob nicht alle Satire bis zu einem gewissen Grad die stillschweigende Billigung des Gegenstandes beinhaltet, auf den sie abzielt. Ist nicht Orwells eigenes Buch 1984 in dem Land, das weltweit über die meisten Überwachungskameras pro Einwohner verfügt, fast zu einem offiziellen Text geworden? Und außerhalb von England staunte der österreichische Autor Thomas Bernhard, ebenfalls ein grimmiger Kritiker seines Landes, darüber, wie gierig die Leute seine Kritik aufsogen und wie laut sie ihm dafür applaudierten, daß er sie beschimpfte.«
Tim Parks
Schnell weiter
Wundersam, was im Aprilheft 2009 in der Rubrik »Partner Titanic« zu lesen war: »Der Treck der traurigen Frauen / kommt bald auch in deine Stadt. / Wohl dem, der den traurigen Frauen / Dann was mitzugeben hat: / Einen Apfel, ein Hündchen, Draht, Saft und Parfüm. / Denn so wird er schnell wieder weiterziehn, / Der Treck der traurigen Frauen, / Ach weh.« Und prophetisch dazu: Denn hast-du-nicht-gesehen, nur siebeneinhalb Jahre später ist er tatsächlich angekommen, der Treck der traurigen Frauen, und zwar in Form des von Mia Grau getexteten und von Martin Fengel illustrierten Bändleins »Das Alphabet der traurigen Frauen« (Berlin Verlag), das so heißt, weil der Treck alphabetisch aufmarschiert. Und zwar gereimt: »Anne. Ach Anne – / du liegst in der Wanne. / Du liegst da und denkst, / ob du viel Wasser verdrängst.« So geht das los, und leider geht es auch so weiter, mit krachenden Versen und bar jeden Sinns (warum sollte Anne darüber nachdenken, ob sie viel Wasser verdrängt, vermutlich meinte M. Grau: daß): »Jennifer. Ach Jennifer – / du drehst das Sektglas hin und her. / Du fühlst dich völlig overdressed, / auf deinem eignen Ehrenfest.« Ein »eignes Ehrenfest« – ihr Geburtstag etwa? »Yvette. Ach Yvette – / das ist die Croisette! / Bist weder reich, noch bist du schön / und möchtest gern nach Haus geh’n.« Na, dann geh halt – und nimm all die anderen Grau-Frauen mit, die nicht traurig, sondern nur so banal daherkommen, daß man’s komfortabel weiterspinnen kann: »Mia Grau. Ach Mia Grau – / du holperreimst so ungenau. / Bist weder sehr treffsicher noch sehr gemein / und sollst angeblich wie Gernhardt sein!« Denn natürlich etikettenschwindelt auch der Berlin Verlag, bei Graus Versen, die »sehr gemein und sehr treffsicher« seien, handele es sich um »die bei weitem lustigsten illustrierten Kurzreime« seit »F. K. Waechters ›Gertrude, Gertrude, verlasse meine Bude‹ … und Robert Gernhardts & F. W. Bernsteins ›Besternte Ernte‹«. Nein, nein, nein! Mia Graus zudem mit dem zweifelhaften Attribut »Pflichtlektüre auf jedem anständigen Gästeklo« angepriesenes Werk wird schnell wieder weiterziehn – gen Lokus oder Orkus oder wohin auch immer. Das Werbeverhalten der Verlagspresseabteilungen aber wird bleiben. Ach weh.