Humorkritik | Februar 2014

Februar 2014

Fack jorself!

Viel wurde geschrieben und gerätselt über den Erfolg von »Fack ju Göhte«, jener deutschen Pennälerkomödie, die, ich war Zeuge, tatsächlich von jungen Leuten gesehen und gefeiert wird und demnächst wohl auch eine Fortsetzung erhält. Stellvertretend für viele freute sich Moritz von Uslar in der Zeit über die exakt wiedergegebene Jugendsprache, eine »hochprozentige Injektion deutscher Poesie, deutschen Alltags, deutscher Wirklichkeit«, mußte aber zugeben, daß die Handlung (ein Ex-Knacki tarnt sich als Aushilfslehrer und ist dabei phänomenal erfolgreich) nur mit »Schwachsinn« korrekt zusammenzufassen ist. Politisch wies Jakob Hayner in der Jungle World darauf hin, daß der Film letztlich eine neue, ethnisch pluralisierte deutsche Volksgemeinschaft herbeisehnt, in der sich Deutsche und Türken zusammenraufen, weil ihre Abneigung gegen Hartz-IV-Versager allemal größer ist als die gegeneinander. Wie echt die Jugendsprache, wie fragwürdig die politische Haltung, das sollen andere klären – mich interessierte vor allem, ob es sich um eine gute Komödie handelt. Und darum handelt es sich eben halt nicht.

Oh, natürlich wird gelacht. Wenn die Ankündigung eines Wandertags von Schülern mit »Boah, bitte nicht wieder KZ!« kommentiert wird, wenn das Mauerblümchen sein Make-over durch eine Prostituierte erhält oder eine weinende Schülerin mit »Heul leise!« abgefertigt wird, regt sich zunächst Anerkennung für den Mut der Filmemacher. Hoho, die trauen sich was! Doch eigentlich hält nur die Überraschung, daß ein deutscher Film überhaupt Pointen solchen Härtegrades enthält, die Erwartung aufrecht. Je länger dies alles fortschreitet, um so mehr zeigt sich, daß der Film im schlechten Sinn des Wortes zynisch ist – mit dem Alleinstellungsmerkmal, daß er die Ressentiments aller Zuschauermilieus anspricht: Die türkischen Jugendlichen können über spackige deutsche Streber lachen, die Deutschen über dumme Türken. Jeder wird abgeholt, jeder wird bedient, keiner muß seine Haltung überdenken. Exemplarisch die Dame neben mir im Publikum, die, als eine klischeesk gezeichnete Hartz-IV-Mutter ihr Leid klagt, auf daß die Schüler dereinst nicht ihr Schicksal teilen mögen, nur »Tja, Pech gehabt!« schnappte.

Und auch auf handwerklicher Ebene ist diese neue deutsche Komödie weit davon entfernt, die Malaisen deutschen Komikschaffens, die diese Rubrik nun schon seit Jahrzehnten beklagt, auskuriert zu haben. Unerträglich beispielsweise das penetrante Chargieren von Katja Riemann und Karoline Herfurth, die mit jedem Augenaufschlag, jeder Handbewegung angestrengt darauf hinweisen, daß sie gerade richtig, richtig lustig sind. Alles ist bis zum Anschlag mit Unernst aufgeladen; für beide bedeutet offenbar eine komische Rolle zu spielen, einen Clown zu geben. Insbesondere Herfurth hat überhaupt nichts Menschliches mehr an sich, sondern ist brachiale, antifeministische Karikatur – diese schwache Neurotikerin, die von einem richtigen Mann geformt werden muß, kann man nicht einmal ernsthaft als weibliche Hauptrolle bezeichnen. Natürlich lacht man, wenn Uschi Glas aus der Reha mit einem Klumpen Ton und dem Satz »Das habe ich für dich in der Burnout-Klinik getöpfert« zurückkehrt, aber in der Nachbetrachtung war dies einer der wenigen Witze, der nicht aus der plumpen Kollision der Lebenswelten abgeleitet war: hier unten die Türken, da oben die Deutschen, beide mit ihrer eigenen bornierten Perspektive; die einen idealistisch und lebensfern, die anderen brutal und bildungsfern.

Die Lösung, die der Film anbietet – wir müssen alle brutal und idealistisch werden – wird dann wiederum so outriert gutgelaunt und pervers idyllisch ausgespielt, daß alle vorgebliche realistische Härte sich als bloße Heuchelei entpuppt: In Wirklichkeit sind die Verhältnisse doch super, und wenn wir nur die Herzen und die Haare offen tragen, sind sämtliche Probleme illusionär. Dabei fangen mit solchen Filmen die Probleme überhaupt erst an.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grüß Gott, Markus Söder!

Weil der bayerische AfD-Chef Sie wiederholt »Södolf« genannt hat und Sie ihn daraufhin anzeigten, muss dieser Ihnen nun 12 000 Euro wegen Beleidigung zahlen. Genau genommen muss er den Betrag an den Freistaat Bayern überweisen, was aber wiederum Ihnen zugutekommt. Ebenjener zahlt Ihnen ja die Honorare für freie Fotograf/innen, von denen Sie sich bei öffentlichen Anlässen gern begleiten und ablichten lassen. Im Jahr 2022 sollen sich die Kosten auf stolze 180 000 Euro belaufen haben.

Vorschlag: Wenn es Ihnen gelingt, die Prasserei für Ihr Image komplett durch Klagen gegen AfD-Mitglieder querzufinanzieren, stoßen wir uns weniger an Ihrem lockeren Umgang mit öffentlichen Geldern.

Drückt vorauseilend schon mal beide Augen zu: Titanic

 Lieber Fritz Merz,

im Podcast »Hotel Matze« sagst Du, dass Du in Deutschland große Chancen bekommen hättest und etwas zurückgeben wolltest. Jawollo! Wir haben da direkt mal ein bisschen für Dich gebrainstormt: Wie wär’s mit Deinem Privatjet, dem ausgeliehenen vierten Star-Wars-Film oder dem Parteivorsitz? Das wäre doch ein guter Anfang!

Wartet schon ganz ungeduldig: Titanic

 Cafe Extrablatt (Bockenheimer Warte, Frankfurt)!

»… von früh bis Bier!« bewirbst Du auf zwei großflächigen Fassadentafeln einen Besuch in Deinen nahe unserer Redaktion gelegenen Gasträumlichkeiten. Geöffnet hast Du unter der Woche zwischen 8:00 und 0:00 bzw. 01:00 (freitags) Uhr. Bier allerdings wird – so interpretieren wir Deinen Slogan – bei Dir erst spät, äh, was denn überhaupt: angeboten, ausgeschenkt? Und was verstehst Du eigentlich unter spät? Spät in der Nacht, spät am Abend, am Spätnachmittag oder spätmorgens? Müssen wir bei Dir in der Früh (zur Frühschicht, am frühen Mittag, vor vier?) gar auf ein Bier verzichten?

Jetzt können wir in der Redaktion von früh bis Bier an nichts anderes mehr denken. Aber zum Glück gibt es ja die Flaschenpost!

Prost! Titanic

 Kleiner Tipp, liebe Eltern!

Wenn Eure Kinder mal wieder nicht draußen spielen wollen, zeigt ihnen doch einfach diese Schlagzeile von Spektrum der Wissenschaft: »Immer mehr Lachgas in der Atmosphäre«. Die wird sie sicher aus dem Haus locken.

Gern geschehen!

Eure Titanic

 Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Du warst der jüngste TITANIC-Chefredakteur aller Zeiten. Du warst der Einzige, der jemals eine klare Vorstellung davon hatte, wie das ideale Heft aussehen musste, und hast immer sehr darunter gelitten, dass sich Deine Utopie nur unzureichend umsetzen ließ. Aus Mangel an Zeit und an Mitarbeiter/innen, die bereit waren, sich Nächte um die Ohren zu schlagen, nur um die perfekte Titelunterzeile oder das richtige Satzzeichen am Ende des Beitrags auf Seite 34 zu finden.

Legendär der Beginn Deiner satirischen Tätigkeit, als Du Dich keineswegs über einen Abdruck Deiner Einsendung freutest, sondern Robert Gernhardt und Bernd Eilert dafür beschimpftest, dass sie minimale Änderungen an Deinem Text vorgenommen hatten. Das wurde als Bewerbungsschreiben zur Kenntnis genommen, und Du warst eingestellt. Unter Deiner Regentschaft begann die Blütezeit des Fotoromans, Manfred Deix, Walter Moers und Michael Sowa wurden ins Blatt gehievt, und manch einer erinnert sich noch mit Tränen in den Augen daran, wie er mal mit Dir eine Rudi-Carrell-Puppe vor dem iranischen Konsulat verbrannt hat.

Nach TITANIC hast Du viele, die ihr Glück weder fassen konnten noch verdient hatten, mit Spitzenwitzen versorgt und dem ersten deutschen Late-Night-Gastgeber Thomas Gottschalk humortechnisch auf die Sprünge geholfen. Und dass River Café, eine deutsche Talkshow, die live aus New York kam, nur drei Folgen erlebte, lag bestimmt nicht an Deinen Texten. Auf Spiegel online hieltest Du als ratloser Auslandskorrespondent E. Bewarzer Dein Kinn in die Kamera, und gemeinsam mit Tex Rubinowitz hast Du das Genre des Listenbuches vielleicht sogar erfunden, auf jeden Fall aber end- und mustergültig definiert, und zwar unter dem Titel: »Die sexuellen Phantasien der Kohlmeisen«. Und diese eine Geschichte, wo ein Psychiater in ein Möbelhaus geht, um eine neue Couch zu kaufen, und der Verkäufer probeliegen muss, wo stand die noch mal? Ach, in der TITANIC? Sollte eigentlich in jedem Lesebuch zu finden sein!

Uns ist natürlich bewusst, dass Du auch diesen Brief, wie so viele andere, lieber selber geschrieben und redigiert hättest – aber umständehalber mussten wir das diesmal leider selbst übernehmen.

In Liebe, Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Feuchte Träume

Träumen norddeutsche Comedians eigentlich davon, es irgendwann mal auf die ganz große Buhne zu schaffen?

Karl Franz

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster