Humorkritik | Januar 2013

Januar 2013

Heitere Gruppe 47

Der Gründervater der Gruppe 47, Hans Werner Richter, hat einige Jahre lang ein Tagebuch geführt, das die noch unter uns lebenden Gruppenveteranen weniger amüsieren dürfte als mich (»Mittendrin. Die Tagebücher 1966–1972«, C.H. Beck). Unter anderem wird darin überliefert, daß Günter Grass im Dezember 1966 einen Traum hatte, an den er sich nach dem Erwachen »sehr deutlich, sehr klar, mit allen Personen« erinnern konnte. »Thema des Traumes: Die große Koalition platzt. Helmut Schmidt prescht mit seiner Fraktion gegen die Regierung vor. Konstruktives Mißtrauensvotum. FDP geht mit, Kiesinger stürzt, Willy Brandt wird zum neuen Kanzler gewählt.« Es ist Grass durchaus zuzutrauen, daß er politische Nachrichten träumte, die ihm gefielen. Ganz platt und plan.

Der alte Richter läßt kaum ein gutes Haar an den Literaten, die er Jahr um Jahr zu Gruppentagungen um sich versammelt hat. Hier bekommt jeder sein Fett weg – beispielsweise Heinrich Böll (»ein Deutscher mit dem verquasten Denken eines Deutschen, bramarbasierende Moral statt politische Intelligenz«), Martin Walser (»ein gefährdeter Psychopath, der immer dann, wenn er sich in einer schöpferischen Krise befindet, nach dem Strohhalm Politik greift. Was dabei herauskommt, ist oft hart an der Grenze des Irrsinns«), Joachim Kaiser (»Er kann nicht über seinen Schatten springen. Es ist der Schatten eines Snobs«), Hans Magnus Enzensberger (»Wahrlich, er ist von einem Scharlatan der Literatur zu einem Scharlatan der Revolution und nun zu einem Scharlatan der Wirtschaftspolitik geworden«), Peter Handke (»In Princeton machte er seinen ersten noch unbeholfenen Hand-, um nicht zu sagen, Handkestand. Und die Journalisten staunten, allen voran der bemerkenswert dumme Erich Kuby«), Hans Mayer (»Ein schrecklich eitler und dadurch trotz seiner Intelligenz recht dummer Mensch«) und Marcel Reich-Ranicki (»Warum er nur immer wissen will, mit welchen ›Dichterinnen‹ der Gruppe 47 ich geschlafen hätte. Anscheinend vermutet er: mit allen. Will er eine ›chronique scandaleuse‹ der Gruppe 47 schreiben? Das wäre verheerend bei seinem mangelhaften Fingerspitzengefühl«).

Bemerkenswert ist die fast durchgehend ungebrochene Mißgelauntheit des Tagebuchschreibers Richter. Er sieht sich von Neidern und Intriganten umstellt, wird von berechtigten Zweifeln an der Qualität seines eigenen literarischen Schaffens gepeinigt, hadert mit Verlegern und Lektoren, ärgert sich über jede Kritik an der Gruppe 47 und plagt sich mit der undankbaren Aufgabe ab, als politisierender Kulturfunktionär eine Rasselbande zusammenzuhalten, die er öffentlich als Elite ausgeben muß, während es sich doch, bei Licht betrachtet und auch aus Richters Privatsicht, nur um eine in sich selbst zutiefst zerstrittene Ansammlung mediokrer Nervensägen, Wirrköpfe und Postenjäger handelt. Anläßlich der 1972 an Richter herangetragenen Frage, ob er sich zum Präsidenten des Pen-Clubs wählen lassen wolle, erfährt man nebenbei etwas wahrhaft Schlagendes über das Lebensziel eines tonangebenden Gruppenmitglieds: »Noch einmal in die Arena steigen? Und das mit all den ›Pfeifen‹, die in diesem Club sind. Günter Grass riet mir heute telefonisch, es zu tun, wörtlich: ›Wir müssen alle Kommandostellen besetzen.‹ «

Wer wird ihn stemmen, den tausendseitigen großhumoristischen Roman über die Pappenheimer der Gruppe 47? Es gäbe viel zu lachen. Und Richters Tagebücher bieten sich als reichbestückte Materialfundgrube an.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Sie, Romancier Robert Habeck,

Sie, Romancier Robert Habeck,

nehmen Ihren Nebenjob als Wirtschaftsminister wohl sehr ernst! So ernst, dass Sie durch eine Neuauflage Ihres zusammen mit Ihrer Ehefrau verfassten Romans »Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf« versuchen, fast im Alleingang dem darniederliegenden Literaturmarkt auf die Sprünge zu helfen. Könnten Sie sich als Nächstes das Zeitschriftensterben vorknöpfen?

Fragt Titanic

 Huhu, »HNA« (»Hessische/Niedersächsische Allgemeine«)!

Mit großer Verblüffung lesen wir bei Dir in einem Testbericht: »Frischkäse ist kaum aus einem Haushalt in Deutschland wegzudenken.«

Och, Menno! Warum denn nicht? Und wenn wir uns nun ganz doll anstrengen? Wollen wir es denn, HNA, einmal gemeinsam versuchen? Also: Augen schließen, konzentrieren und – Achtung: hui! – weg damit! Uuuund: Futschikato! Einfach aus dem eigenen Haushalt weggedacht. Und war doch überhaupt nicht schlimm, oder?

Es dankt für die erfolgreiche Zusammenarbeit und hofft, einen kleinen Denkanstoß gegeben zu haben, wenn nicht gar einen Wegdenkanstoß: Titanic

 Ganz, ganz sicher, unbekannter Ingenieur aus Mittelsachsen,

dass Du Deine Verteidigungsstrategie nicht überdenken willst? Unter uns, es klingt schon heftig, was Dir so alles vorgeworfen wird: Nach einem Crash sollst Du einem anderen Verkehrsteilnehmer gegenüber handgreiflich geworden sein, nur um dann Reißaus zu nehmen, als der Dir mit der Polizei kommen wollte.

Die beim wackeren Rückzug geäußerten Schmähungen, für die Du nun blechen sollst, wolltest Du vor dem Amtsgericht Freiberg dann aber doch nicht auf Dir sitzen lassen. Weder »Judensau« noch »Heil Hitler« willst Du gerufen haben, sondern lediglich »Du Sau« und »Fei bitter«. Magst Du das nicht noch mal mit Deinem Rechtsbeistand durchsprechen? Hast Du im fraglichen Moment nicht vielleicht doch eher Deinen Unmut über das wenig höfische Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers (»Kein Ritter!«) geäußert, hattest Deinen im selben Moment beschlossenen Abschied von den sozialen Medien (»Bye, Twitter!«) im Sinn, oder hast gar Deiner verspäteten Freude über die olympische Bronzemedaille des deutschen Ruder-Achters von 1936 (»Geil, Dritter!«) Ausdruck verliehen?

Nein? Du bleibst dabei? Und würdest dafür sogar ins Gefängnis gehen (»Fein, Gitter!«)?

Davor hat fast schon wieder Respekt: Titanic

 Keine Übertreibung, Mathias Richling,

sei die Behauptung, dass die Ampel »einen desaströsen Eindruck bei jedermann« hinterlasse, denn in den vielen Jahren Ihrer Karriere, so schilderten Sie’s den Stuttgarter Nachrichten, hätten Sie es noch nie erlebt, »dass ohne jegliche pointierte Bemerkung allein die bloße Nennung des Namens Ricarda Lang ein brüllendes Gelächter auslöst«.

Aber was bedeutet das? »Das bedeutet ja aber, zu Mitgliedern der aktuellen Bundesregierung muss man sich nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen.« Nun beruhigt uns einerseits, dass Ihr Publikum, das sich an Ihren Parodien von Helmut Kohl und Edmund Stoiber erfreut, wohl immerhin weiß, wer Ricarda Lang ist. Als beunruhigend empfinden wir hingegen, dass offenbar Sie nicht wissen, dass Lang gar kein Mitglied der aktuellen Bundesregierung ist.

Muss sich dazu nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen: Titanic

 Damit hast Du nicht gerechnet, »Zeit online«!

Als Du fragtest: »Wie gut sind Sie in Mathe?«, wolltest Du uns da wieder einmal für dumm verkaufen? Logisch wissen wir, dass bei dieser einzigen Aufgabe, die Du uns gestellt hast (Z+), erstens der zweite Summand und zweitens der Mehrwert fehlt.

Bitte nachbessern: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Süße Erkenntnis

Für jemanden, der Pfirsich liebt, aber Maracuja hasst, hält die Welt viele Enttäuschungen bereit.

Karl Franz

 3:6, 6:7, 0:6

Der Volontär in der Konferenz der Sportredaktion auf die Bitte, seine Story in drei Sätzen zu erzählen.

Ronnie Zumbühl

 Nachwuchs

Den werdenden Eltern, die es genau mögen, empfehle ich meinen Babynamensvorschlag: Dean Norman.

Alice Brücher-Herpel

 Dilemma

Zum Einschlafen Lämmer zählen und sich täglich über einen neuen Rekord freuen.

Michael Höfler

 Hellseherisch

Morgen ist einfach nicht mein Tag.

Theo Matthies

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
29.11.2023 Stuttgart, Theaterhaus Max Goldt
30.11.2023 Erfurt, Franz Mehlhose Max Goldt
30.11.2023 Friedrichsdorf, Forum Friedrichsdorf Pit Knorr & Die Eiligen Drei Könige
01.12.2023 Hamburg, Centralkomitee Hauck & Bauer