Humorkritik | Januar 2013

Januar 2013

Der unsichtbare Dritte

Dem Roman »Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters« (DuMont) liegt eine ebenso einfache wie bestechende Idee zugrunde. Der Autor Tilman Rammstedt schreibt an Bruce Willis und bietet ihm eine Rolle in seinem Roman an. Er soll den titelgebenden Bankberater verkörpern, dem es an Mut, Tatkraft und Entschlossenheit fehlt, weswegen Willis einspringen soll. Da der Schauspieler einfach nicht reagieren will, steigert sich Rammstedt in immer wildere Spekulationen, Beschuldigungen und Handlungsanweisungen hinein, so daß Bruce Willis, ohne eigenes Dazutun, in ernste Schwierigkeiten gerät. Die recht sonderbare Persönlichkeit des Bankberaters wird uns zwischendurch in kleinen Kalendergeschichten nähergebracht.

Eigentlich geht es in Rammstedts Erzählung um die Nöte des Autors, den persönliche Krisen, Abgabestreß und Ideenlosigkeit plagen und der sich von Bruce Willis Rettung und Erlösung erhofft. Daß der gewagte Kunstgriff tatsächlich funktioniert und dem Leser eine hochkomische Lektüre verschafft, ist die größte Überraschung dieses erfreulichen Werkes, das man problemlos in einem Zug (ICE 773, Hamburg-Frankfurt) durchlesen kann.

Auch Jan Peter Bremer arbeitet mit einer unsichtbaren Bezugsperson. »Der amerikanische Investor« bedroht durch brutale Bau- und Entmietungsmaßnahmen das beschauliche Kreuzberger Kleinbürgerdasein eines Schriftstellers und Familienvaters. In ständig wachsender Verzweiflung versucht er, einen Brief an den gewissenlosen Kapitalisten zu schreiben. Das selbstverständlich brillant formulierte Schreiben soll dem Investor die Augen öffnen, ihn beschämt das Frevelhafte seines Tuns einsehen und die Sinnlosigkeit seines Investorendaseins begreifen lassen. Immer wieder aber findet der Schriftsteller, der möglicherweise mit Bremer sehr identisch ist, einen Vorwand, den Brief nicht zu schreiben, und steigert sich in maßlose Projektionen und Versagensängste hinein. So wird der Investor zu einem diabolischen Hirngespinst; mal spannt er dem Schriftsteller kurzerhand die Frau aus, wird gleich darauf zu seinem engsten Vertrauten, nur um sich daraufhin jäh in eine monströse Schreckensgestalt zu verwandeln.

So wie Bremer seinen ziemlich jämmerlichen Helden, getrieben vom Investorendämon, durch Kreuzberg irrlichtern läßt, fühlte ich mich in den besten Momenten tatsächlich an Jerofejews »Reise nach Petuschki« erinnert. Zerknirscht muß ich allerdings gestehen, daß ich dieses Meisterwerk im letzten Jahr übersehen und erst jetzt als immerhin kostengünstiges Taschenbuch (Bloomsbury) entdeckt habe. Wenn’s Ihnen genauso geht, kaufen Sie gleich drei und verschenken Sie zwei.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg